Freitag, 19. November 2021
Muschelerfahrung
"Nein, nein, nein!" rief Nelly entschieden, auch wenn niemand sie hören konnte. Aus dem Fernseher plärrte die immer gleiche Platte. "Lassen Sie sich Impfen. Seien Sie solidarisch mit den Schwachen. Denken Sie an Ihre eigene Gesundheit."
Papperlapapp. Da hatte sie viel zu viel Angst, ihre Chancen auf Kinder zu vertun. Noch war es nicht zu spät bei ihr, und Robert war doch ein ein feiner Kerl. Ein ganz netter. Ein schöner und kluger dazu. Vielleicht ein bisschen zu klug.
Wenn er ihr erklärte, wie alles zusammenhing, wie die Reichen und Mächtigen für sich sorgten, immer auf Kosten der Mehrheit und wie sie sich durchsetzten, mit gefälschten Beweisen, Erpressung, Manipulation und Schmiergeldern, dann drehte sich ihr Kopf. Robert war auch überzeugt, dass die Impferei nichts brachte. "Sterben müssen wir sowieso irgendwann an irgendwas.", meinte er. "Denen geht es nur um Kontrolle und Profit. Aber mich kriegen die nicht."
"Nein", hauchte Nelly dann. "Mich auch nicht." und Robert sah sie zärtlich mit seinen warmen, braunen Augen an.
Und dann meldete er sich plötzlich nicht mehr. "Wie geht es dir?", sprach Nelly auf den Anrufbeantworter. Und noch einmal. Beim dritten Versuch ging er direkt an den Apparat. "Was willst du denn?", herrschte er sie an.
Lothar aus der Wehrt-Euch-Gruppe klärte sie schließlich auf. Robert hatte Viola kennengelernt. Die wohnte in dieser WG mit den ganzen Antiimps, da war immer was los. Nelly kannte Viola vom Sehen. Sah super aus. Etwas voll in den Hüften, aber blaue Augen wie Geschosse und ein Lachen wie Rondo Veneziano und sie promovierte gerade.
Lothar war so einer, der glaubte an ganz wilde Sachen. "Du musst immer das große Ganze sehen.", meinte er. "Mit Microsoft hat er es nicht geschafft, jetzt versucht er es eben mit Nanobots. Macht gemeinsame Sache mit dem Facebook-Chef und zu welchem Volk der gehört, muss ich dir ja nicht erklären. Alles eine Sauce. Die wollen uns kontrollieren, ausbeuten und diejenigen, die sie nicht gebrauchen können, ermorden."
Nelly fand Lothar komisch, aber sie hatten etwas gemeinsam. Sie wollten beide unversehrt bleiben, vom Impfgift, für was auch immer das stand.
"Gehen wir einen Kaffee trinken?", fragte Nelly ihn.
"Man sollte immer seinen Marktwert kennen.", erwiderte Lothar und wandte sich zum Gehen. Von weitem hörte sie ihn lachen und lautstark tönen, als er seinem Kumpel erzählte: "Die Klappspaten-Nelly hat Torschluss-Panik. Musst du aufpassen, sonst hast du sie auch an der Backe."
Und Nelly zerbrach.
Übrig blieb nur noch Ly. Und Ly war nur noch Hass. Lieben konnte sie nicht mehr, aber töten. Hauptsache Leidenschaft.

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