... newer stories
Freitag, 20. August 2021
Lieber Mann
c. fabry, 12:32h
Jens war mit über Fünfzig immer noch der Schwarm aller Schülerinnen. Darüber machten sie im Kollegium gerade Witze. "Ich bin ja der gleiche Jahrgang wie Jens.", sagte Maren mit gespieltem Stolz und warf kokett das Haar zurück.
"Sieht man dir gar nicht an.", meinte der vierzigjährige Gero trocken und nahm einen großen Schluck aus seinem Kaffeebecher.
"Aufgedunsener alter Sack!", dachte Maren erbost. "Hast doch nur Komplexe, weil du nie der Traum irgendeines Mädchens warst, zu keiner Zeit."
Gero war zwar Familienvater, weil er tatsächlich irgendwann die Erste und Einzige gefunden hatte, die sich bei ihm wohl, sicher und wertgeschätzt fühlte, darüber hinaus wurde er aber im besten Fall übersehen und eine Freundin, die ihn von früher kannte, hatte gemeint, dass er schon mit zwanzig ausgesehen habe wie ein Vierzigjähriger und sich auch so verhalten habe.
Man könnte meinen, er sei im Lot mit sich, weil er gegenwärtig mit seinem inneren Alter übereinstimmte. Aber wer im Lot mit sich ist, hat es nicht nötig, andere abzuwerten.
Am Nachmittag kamen alle zur Konferenz zusammen. Maren wäre wie die meisten von ihnen viel lieber nach Hause gegangen, an ihren geliebten Schreibtisch, die neue Unterrichtsreihe zum Thema Abschied und Tod benötigte noch einen letzten Feinschliff und nächste Woche ging es los.
"Wo ist denn unser Pin-up-Boy?", fragte Gudula. Alexander, der Schulleiter, sah sie über die die Gläser seiner Goldrandbrille mahnend an. Gudula zuckte grinsend mit den Schultern, Ellen unterstützte sie: "Der Kollege Liebermann legt seine optischen Vorteile schon sehr auffällig in die Waagschale."
Gero meldete sich zu Wort. "Kann ich vor den ersten Wortmeldungen vielleicht noch die Tagesordnung vorlesen, Herr List?"
Zu Gero hatte der Schulleiter ein betont distanziertes Verhältnis und das lag weder am Dienstalter noch an irgendeiner Art von besonderem Respekt.
"Ich wollte nur anmerken, dass ich gern direkt anfangen würde, statt auf Jens Liebermann zu warten. Wie die meisten hier habe ich heute noch eine Menge Arbeit auf dem Schreibtisch."
"Wer nicht?", seufzte Alexander genervt und setzte an, um die Tagesordnung zu präsentieren, da klopfte es äußerst eindringlich an der Tür des Lehrer*innenzimmers.
"Ja bitte!", rief der Schulleiter und ein Junge aus der Mittelstufe trat ein, mit verstörtem Gesichtsausdruck und hektischem Atem stieß er hervor: "Auf dem Klo liegt einer."
Viel mehr war nicht aus ihm herauszubekommen, also stürmten mehrere Kollegen auf sämtliche Jungen- und Herrentoiletten, bis schließlich Sebastian zurückkam, aschfahl, mit dem Handy am Ohr.
"Ja, danke, dann bis gleich.", sagte er.
Er trat ein, setzte sich wieder auf seinen Stuhl, atmete einmal tief durch und sagte dann: "Es ist Jens. Auf dem Jungenklo am Pausenhof. Sein Kopf steckte noch in der Kloschüssel. Die Polizei ist gleich hier."
Raue und fiepende Laute entwichen den entsetzten Kehlen. Wieso Kloschüssel? Maren musste das erst einmal sortieren. Das konnte kaum ein Unfall sein. Auch kein bizarrer Suizid, zumal Jens nie den Eindruck machte, dies auch nur im entferntesten in Erwägung zu ziehen. Übertriebenes Waterboarding? Aber sie lebten nicht in unter einem Terrorregime, in dem Folter an der Tagesordnung war und Jens mit seinen unpolitischen Fächern, Biologie und Sport, da konnte es doch auch keinen Zusammenstoß mit fehlgeleiteten Geheimdiensten geben, ach, was für ein Quatsch. Jemand musste mächtig sauer auf ihn gewesen sein.
Die Konferenz wurde vertagt, sie warteten auf die Polizei, mussten alle da bleiben, bis der Tatort gesichert war, alle Personalien aufgenommen, alle Kontaktdaten erfasst waren.
Als sie entlassen wurden, ging Maren in einer losen Gruppe nach draußen, bloß an die frische Luft, durch den Haupteingang, möglichst weit weg vom Pausenhof, wo das Ungemach des Todes über dem Asphalt schwebte, wie der Geist Gottes über dem Wasser.
"Man fragt sich natürlich", meinte Gero, "was Jens ausgerechnet auf der Schülertoilette zu suchen hatte. Schließlich war er nicht dran mit Pausenaufsicht."
Gero blickte beifallheischend in die Runde und wartete darauf, dass seine bittere Saat aufging. Jens, ein homosexueller Kinderficker, an dem ein Opfer sich gerächt haben könnte - oder jemand, der einem Opfer nahestand? Diese haltlosen Verdächtigungen fand Maren ungeheuerlich.
Luca Feldmann, der Schülersprecher, hatte die Bemerkung mitgekommen und sagte ruhig und sehr deutlich im Vorbeigehen: "Genauso, wie wir uns alle fragen, was der Herr List auf dem Jungenklo zu suchen hatte."
"Sieht man dir gar nicht an.", meinte der vierzigjährige Gero trocken und nahm einen großen Schluck aus seinem Kaffeebecher.
"Aufgedunsener alter Sack!", dachte Maren erbost. "Hast doch nur Komplexe, weil du nie der Traum irgendeines Mädchens warst, zu keiner Zeit."
Gero war zwar Familienvater, weil er tatsächlich irgendwann die Erste und Einzige gefunden hatte, die sich bei ihm wohl, sicher und wertgeschätzt fühlte, darüber hinaus wurde er aber im besten Fall übersehen und eine Freundin, die ihn von früher kannte, hatte gemeint, dass er schon mit zwanzig ausgesehen habe wie ein Vierzigjähriger und sich auch so verhalten habe.
Man könnte meinen, er sei im Lot mit sich, weil er gegenwärtig mit seinem inneren Alter übereinstimmte. Aber wer im Lot mit sich ist, hat es nicht nötig, andere abzuwerten.
Am Nachmittag kamen alle zur Konferenz zusammen. Maren wäre wie die meisten von ihnen viel lieber nach Hause gegangen, an ihren geliebten Schreibtisch, die neue Unterrichtsreihe zum Thema Abschied und Tod benötigte noch einen letzten Feinschliff und nächste Woche ging es los.
"Wo ist denn unser Pin-up-Boy?", fragte Gudula. Alexander, der Schulleiter, sah sie über die die Gläser seiner Goldrandbrille mahnend an. Gudula zuckte grinsend mit den Schultern, Ellen unterstützte sie: "Der Kollege Liebermann legt seine optischen Vorteile schon sehr auffällig in die Waagschale."
Gero meldete sich zu Wort. "Kann ich vor den ersten Wortmeldungen vielleicht noch die Tagesordnung vorlesen, Herr List?"
Zu Gero hatte der Schulleiter ein betont distanziertes Verhältnis und das lag weder am Dienstalter noch an irgendeiner Art von besonderem Respekt.
"Ich wollte nur anmerken, dass ich gern direkt anfangen würde, statt auf Jens Liebermann zu warten. Wie die meisten hier habe ich heute noch eine Menge Arbeit auf dem Schreibtisch."
"Wer nicht?", seufzte Alexander genervt und setzte an, um die Tagesordnung zu präsentieren, da klopfte es äußerst eindringlich an der Tür des Lehrer*innenzimmers.
"Ja bitte!", rief der Schulleiter und ein Junge aus der Mittelstufe trat ein, mit verstörtem Gesichtsausdruck und hektischem Atem stieß er hervor: "Auf dem Klo liegt einer."
Viel mehr war nicht aus ihm herauszubekommen, also stürmten mehrere Kollegen auf sämtliche Jungen- und Herrentoiletten, bis schließlich Sebastian zurückkam, aschfahl, mit dem Handy am Ohr.
"Ja, danke, dann bis gleich.", sagte er.
Er trat ein, setzte sich wieder auf seinen Stuhl, atmete einmal tief durch und sagte dann: "Es ist Jens. Auf dem Jungenklo am Pausenhof. Sein Kopf steckte noch in der Kloschüssel. Die Polizei ist gleich hier."
Raue und fiepende Laute entwichen den entsetzten Kehlen. Wieso Kloschüssel? Maren musste das erst einmal sortieren. Das konnte kaum ein Unfall sein. Auch kein bizarrer Suizid, zumal Jens nie den Eindruck machte, dies auch nur im entferntesten in Erwägung zu ziehen. Übertriebenes Waterboarding? Aber sie lebten nicht in unter einem Terrorregime, in dem Folter an der Tagesordnung war und Jens mit seinen unpolitischen Fächern, Biologie und Sport, da konnte es doch auch keinen Zusammenstoß mit fehlgeleiteten Geheimdiensten geben, ach, was für ein Quatsch. Jemand musste mächtig sauer auf ihn gewesen sein.
Die Konferenz wurde vertagt, sie warteten auf die Polizei, mussten alle da bleiben, bis der Tatort gesichert war, alle Personalien aufgenommen, alle Kontaktdaten erfasst waren.
Als sie entlassen wurden, ging Maren in einer losen Gruppe nach draußen, bloß an die frische Luft, durch den Haupteingang, möglichst weit weg vom Pausenhof, wo das Ungemach des Todes über dem Asphalt schwebte, wie der Geist Gottes über dem Wasser.
"Man fragt sich natürlich", meinte Gero, "was Jens ausgerechnet auf der Schülertoilette zu suchen hatte. Schließlich war er nicht dran mit Pausenaufsicht."
Gero blickte beifallheischend in die Runde und wartete darauf, dass seine bittere Saat aufging. Jens, ein homosexueller Kinderficker, an dem ein Opfer sich gerächt haben könnte - oder jemand, der einem Opfer nahestand? Diese haltlosen Verdächtigungen fand Maren ungeheuerlich.
Luca Feldmann, der Schülersprecher, hatte die Bemerkung mitgekommen und sagte ruhig und sehr deutlich im Vorbeigehen: "Genauso, wie wir uns alle fragen, was der Herr List auf dem Jungenklo zu suchen hatte."
... link (0 Kommentare) ... comment
... older stories