Freitag, 9. Juli 2021
Forellenweg
Ein kurzer Blick auf die Teilnehmendenliste: Forellenweg. Oh je! Das Siedlungsgebiet mit 95 Prozent Lehrerinnen und Sozialpädagogen. Noch nie hatte es in dieser Gegend einen erfreulichen Elternkontakt gegeben. Sie würde sehen.
Sie sah. Beide Eltern ein Fleisch gewordener Vorwurf, so wie bisher alle in diesem Wohngebiet, deren Bekanntschaft zu machen ihr nicht erspart geblieben war.

"Guten Tag, ich bin Friederike Rösener, ich bin hier wegen Summer."
"Ach ja, kommen Sie doch rein, ich gebe eben meinem Mann Bescheid."
"Ist Summer auch da?"
"Ja, aber sie hat keine Lust, mit Ihnen zu reden, sie bleibt in ihrem Zimmer."
Friederike taxierte Summers Mutter: Klamotten aus dem Öko-Versand, allgemeine, biodynamische Magerkeit, ein bitterer Zug um den Mund, den sie durch eine aufgesetzte, vorgetäuschte Fröhlichkeit zu verbergen suchte. Sieh her, ich bin gesund, sehe viel jünger aus, als ich bin und stecke voller Lebensfreude, Energie und sozialer Kompetenz. Fühl dich gefälligst klein, damit ich auf dich herabsehen kann.
Okay, dachte Friederike. Therapeutische Grundhaltung. Alles, was gleich passiert, hat nicht das Geringste mit mir zu tun.
Der Vater kam dazu, gleiches Modell in XY.
"Summer ist immer noch sehr verletzt.", sagte er.
"Elias auch.", erwiderte Friederike.
"Das ist nicht unser Problem.", antwortete der Vater.

Aus jeder Pore strömte das unverkennbare Potpourri aus Entrüstung, Selbstgerechtigkeit, Arroganz, Ignoranz und Besserwisserei. Wir sind die Guten, denn wir sind die mit den klimafreundlichen Häusern, den naturnahen Gärten, der fundierten Bildung, dem pädagogischen Gespür und der richtigen politischen Gesinnung.

Summer hatte ein frühkindliches Trauma erlitten, in der Kita. Das heilsam zu verarbeiten, war bisher nicht gelungen. Sie war jetzt elf Jahre alt und neigte dazu, andere Kinder zu quälen oder zu schikanieren und anschließend alles entschieden abzustreiten. Auf der Kinderfreizeit war das Fass schon am dritten Tag übergelaufen, darum hatte ein Mitarbeiter Summer nach Hause gefahren.

Die Mutter hielt Vorträge über Inklusion.
"Ich wurde nicht informiert.", erwiderte Friederike. "Sie hätten mich vorbereiten müssen."
Die Mutter sagte, sie sei es müde, immer und überall Vorgespräche zu führen, sie habe es schließlich bei der Anmeldung im Gemeindebüro der Verwaltungskraft mitgeteilt.
Mit einem abfälligen Grunzen quittierte der Vater die freiwillige Erstattung von zwei Dritteln des Freizeitpreises. Friederike hatte das spontan und ohne Absprache entschieden und das Geld selbst ausgelegt. Wie selbstverständlich strich er das Geld ein, dabei hatte er selbst unterschrieben, dass im Fall eines Ausschlusses von der Ferienmaßnahme wegen massiver Störung der Freizeitgemeinschaft kein Anspruch auf Erstattung bestehe.

Im Gespräch fiel dann noch der Satz: "Von Kirche hätten wir da mehr Verständnis und Inklusion erwartet." Wenn man überhaupt von einem Gespräch reden konnte, denn die meiste Zeit redete die Mutter und wenn Friederike etwas erklären wollte, wurde sie spätestens nach dem ersten Satz unterbrochen.

Dass sie selbst Null Verständnis für die Situation der anderen Kinder und der Mitarbeitenden aufbrachten, behielt sie für sich. Die beiden waren so vernagelt, das Ganze wäre nur eskaliert.

Zwischendurch stritten sie sich in Gegenwart ihres Besuches, hielten das aber sicher für gepflegte Streitkultur.

Friederike gab sich bis zum Abschied versöhnlich. Dann stieg sie in ihr Auto und ließ die potentiellen Kirchenaustreter hinter sich. Sollten sie doch. Gingen sie ihr wenigstens nicht mehr auf die Nerven.

Dann knallte es. Sie verlor die Kontrolle über ihr Fahrzeug. Das Auto küsste einen Baum. Friederike küsste das Leben zum Abschied. Ein Reifen war geplatzt. Nicht zufällig. Summer hatte sich gerächt.

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