Samstag, 26. Juni 2021
Mariola bringt die Welt in Ordnung
Er war immer noch wie ein Junge, konnte den Raufbold und Dreckspatz in sich nicht leugnen. Wollte er auch gar nicht. Voller Inbrunst war er damit beschäftigt, die Kirschen durch den Entsteiner zu orgeln. Niemand konnte sich so hingeben an eine Aufgabe wie er, zumindest bei allem, was er mit den Händen und unter Einsatz von Werkzeug in Angriff nahm. Sogar das Aufräumen erledigte er stets zügig und gut gelaunt.
Er kochte sich zur Belohnung einen Kaffee und dachte an Hanna. Sie war nett, wirklich nett und das meinte er nicht im Sinne von "kleine Schwester von Scheiße". Britta behandelte sie immer wie eine Nebenbuhlerin. Absolut lächerlich. Hanna zeigte nicht einmal Ansätze erotischer Avancen.

Er konnte nicht in ihren Kopf sehen und das war gut so. Nicht auszudenken, wenn er merken würde, wie hingerissen sie von seinem Charme war, von seiner Eleganz, seiner Eloquenz, seiner Sinnlichkeit. Sie musste es geheim halten und gleichzeitig wollte sie sich ihm offenbaren wegen dieser besonderen Augenblicke, in denen er ihr mitten ins Herz sah - und sie kurz in seins blicken ließ. Zumindest fühlte es sich so an. Sie musste sich sortieren; was sie wollte, was sie fühlte, was sie wusste, was sie nur ahnte. Völlig rastlos lief sie durchs Haus. Sie könnte sich irren, so oder so. Schließlich wollte sie ihn nicht nötigen. Sie dachte an sein Haar, dunkel, dicht und kräftig und stellte sich vor, wie sie es durch ihre Finger gleiten ließ. Sie dachte an seine Haut, ockerfarben, feinporig, nahezu makellos und sehnte sich mit jedem Pulsschlag und jedem elektrischen Impuls, der durch ihre Nervenbahnen zuckte, nach der Berührung seines lieben Gesichts,
Warum liebte sie ihn so sehr? Schöne Männer mit Geist und Empathie waren zwar knapp, aber nun auch wieder nicht so selten. Vielleicht lag es daran, dass er sie unverhohlen wertschätzte - für was auch immer. Sie hoffte, es handelte sich um ihre sprühende Intelligenz, ihren entwaffnenden Humor, ihre inspirierende Präsenz und ihre scharfen Kurven. Sie befürchtete jedoch, dass es andere Qualitäten waren, die er an ihr schätzte: Zuverlässigkeit, Unkompliziertheit, Vertrauenswürdigkeit und allgemeine Freundlichkeit mit einem Spritzer pikanten Humors. Jemand, den man dunkel in angenehmer Erinnerung
behält. Eine, an die man alle paar Jahre mit Wohlwollen zurückdenkt und sich fragt, was wohl in der Zwischenzeit aus ihr geworden ist, ohne auch nur daran zu denken, sie einmal selbst zu fragen.
Eigentlich wusste sie längst, dass sie loslassen musste, wenn sie nicht in die Rolle der lästigen Stalkerin geraten wollte, würde nicht zum ersten Mal passieren. Sie konnte Lust und Liebe nicht auseinanderhalten, war immer überzeugt davon gewesen, dass beides untrennbar zusammengehöre. Ihr Kopf hatte verstanden, dass dies nicht notwendigerweise der Fall war. Ihr Herz blieb dabei. Ein über jeden Zweifel erhabener Ausdruck von Integrität, denn Lust ohne Liebe empfand sie als düster und wertlos - sie hinterließ einen schalen Geschmack und wahlweise ein Gefühl des Benutzwordenseins oder ein schlechtes Gewissen. Und Liebe ohne Lust fehlte die Leidenschaft, die Ganzheit. Sie glaubte nicht, dass solche Gefühle wirklich existierten und hielt jene, die von sich behaupteten, so zu empfinden für unehrlich. Sie logen sich selbst in die Tasche.

Mariola beobachtete das Treiben der Beiden schon eine ganze Weile. Sie besaß ein ausgeprägtes, investigatives Talent. Er, der aalglatte Womanizer, sie die rettungslose Gesichtsruine mit dem antrainierten Apfelpopo, die sich stets jung und lässig gab. Es war Irrsinn, wie sie sich aneinander ranwanzten, sie, die sich rastlos aufopferte, sich anbot, für ihn einzukaufen, seinen Hund auszuführen; er, der mit ihren Gefühlen jonglierte, immer die Kontrolle behielt, wie nah er sie an sich heranließ, mal hocherfreut sie zu sehen, mal betont ernst und distanziert. Eines Tages würde er seine Zähne in die fette Beute schlagen, das war ganz sicher. Warum musste sie auch in einem Land leben, in dem der Ehebruch als Kavaliersdelikt gehandelt wurde, als lässliche Sünde, als Quelle wunderbarer Wonnen? Und jede Kritik daran, wurde mit dem Vorwurf schlichten Neids zurückgewiesen. Sie hätte einen von beiden zur Rede stellen können, doch sie hätten so lange lamentiert, dass das alles nichts zu bedeuten habe, dass ein solches Gespräch nichts geändert hätte.
Sie hätte versuchen können, jemanden aus dem Presbyterium als Ombudsmann anzuheuern, jemanden, der Ruhe in dieses Chaos gebracht hätte, den beiden klar gemacht hätte, welches Verhalten angemessen war und welches sie sich verkneifen mussten. Doch es gab niemandem, bei dem sie sich hätte vorstellen können, dass er dazu bereit gewesen wäre.
Sie schrieb all ihre Gedanken auf Karteikarten und sortierte sie systematisch. Am Ende hatte sie einen Plan. Auf dem PKW-Stellplatz vor seinem Haus legte sie sich auf die Lauer. Heute war Dienstag, da kam sie sicher zum vermeintlich unschuldigen Kaffee zwischen den Telefonaten vorbei, auf ein harmloses Schwätzchen.
Dazu würde es nicht mehr kommen. Sie stopfte ihr das Maul. Mit Eibenbeeren, Die hatte sie am Vortag eigenhändig gesammelt. Die Beeren entsprachen dem Wesen des Opfers. Das Fruchtfleisch war harmlos, eine unschuldige äußere Hülle, die Kerne hingegen waren hochgiftig. Leber und Nieren würden sich nicht mehr regenerieren.
Und die Ehen der beiden waren gerettet.

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