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Freitag, 11. Dezember 2020
Videokonferenz mit Katze
c. fabry, 17:41h
War das zu glauben? Die Katze die bei dem einen Kollegen aus dem Bild gelaufen war, war bei der anderen Kollegin wieder aufgetaucht. Warum mir solche Details auffielen? Weil das Thema gerade mal wieder komplett an mir vorbeiging. Alle warfen mit von Konzernen erfundenen Pseudo-Fachtermini um sich und fühlten sich unglaublich professionell. Nervnasen. Mich interessierte das Leben. Das echte Leben. Und schon war ich mit den Gedanken woanders und raus.
Die Katzen meiner Mutter waren Meisterinnen des sozial verträglichen Ablebens: bevor sie altersbedingt horrende Tierarztkosten verursachten, warfen sie sich vors Auto, vor den Trecker oder unter den Hund. War auch kein Problem, gab immer wieder Nachschub. Meine Mutter wollte keine Katzen, aber sie zog sie magisch an, wie eine Wurzelfrau. Die Viecher rückten ihr auf die Pelle, mauzten herzzerreißend, bis sie sich ihrer erbarmte und ihnen eine Kleinigkeit zu essen reichte. Dann blieben sie. Nisteten sich ein. Zuerst durften sie ausschließlich im Fahrradschuppen residieren, dann kam das Futter regelmäßiger, dann durften sie auch mal für einen Moment ins Haus kommen, dann wurde doch anständiges Trockenfutter angeschafft, der alte abgeschnittene Eimer durch zwei ordentliche Tröge ersetzt – einer für die Brekkies, einer für das Wasser – und dann wurde es Winter und ach im ersten Jahr gab es dann eine ausgepolsterte Kiste im Fahrradschuppen, im zweiten Jahr durfte die Katze in den besonders kalten Nächten ins Haus. Das Katzenklo war auch längst angeschafft.
Dann, nach ein paar Jahren, suizidierte sich die Mieze oder verschwand spurlos. „Ich will keine neue Katze.“, sage meine Mutter täglich. Wie ein Mantra wiederholte sie es. Und wir wussten alle: es würde kein Jahr vergehen, bis der nächste Tiger sich in ihr Leben schlich.
„Heike, kannst Du noch einmal was zu Deinen Erfahrungen mit dem Kinderprogramm berichten?“
Ich zuckte zusammen. Was wollten sie hören? Meine ersten digitalen Gehversuche oder die analogen Alternativen? Da sie aber gerade noch in masturbatorischer Hingabe über diverse „tools“ schwadroniert hatten - diese Anglizismus-Fetischisten, konnten die nicht einfach Werkzeug sagen? - vermutete ich, dass es um meine Jungschar-Videokonferenzen ging. Also pokerte ich und erklärte: „Ich habe hier ja eine behütete, kleinbürgerliche Zielgruppe, wo die Eltern sich hingebungsvoll engagieren und ihren Kindern alles ermöglichen. Die sorgen dann dafür, dass die Kurzen zur passenden Zeit vor dem Laptop sitzen und eingewählt sind. Ich mache nur eine Stunde Programm, das reicht vollkommen und dann lasse ich erst einmal alle von sich erzählen, was sie gerade so loswerden wollen, da gibt es auch immer einen großen Bedarf, dann mache ich was mit Bewegung, zum Beispiel das Kaufhausspiel, wo man möglichst schnell einen bestimmten Gegenstand herbeischaffen muss, dann ein Ratespiel oder eben eine Basteleinheit, das Material habe ich den Kindern vorher persönlich vorbei gebracht und zum Schluss singe ich was vor oder lasse einzelne Kinder abwechselnd singen oder lese eine kurze Geschichte vor.“
Unbeeindrucktes Schweigen. Was zu erwarten war. Ich nutzte ja nur die Webcam. Na gut, auch das Whiteboard und den Chat, aber davon berichtete ich nicht, das war mir zu blöd. Ich schaltete mich stumm und entdeckte die Katze erneut. Aber die Kollegin fehlte. Ein Raunen tönte aus dem Computer. „Wo ist denn Lisa hin?“ Eckhart kicherte: „Ich glaube Lisa ist ‘ne Hexe und hat sich in eine Katze verwandelt.“
„Ein Animagus.“, präzisierte Oliver.
Die Katze sprang vom Stuhl.
„Lisa hat keinen Bock mehr.“, sagte Alex trocken.
Erst jetzt fiel mir auf, dass Henning vollkommen reglos vor dem Bildschirm saß, als wäre er eine Wachsfigur. Dann wurde der Bildschirm kurz schwarz, danach war er zurück.
„Sorry“, sagte Henning, die Verbindung ist instabil, ich war kurz eingefroren, hab‘ mich noch mal neu eingewählt.“
Die Katze sprang auf Hennings Schoß.
„Hallo Lisa:“, sagte Alex und kicherte. Henning zuckte zusammen. Da wusste ich was passiert war.
Ihr auch?
Die Katzen meiner Mutter waren Meisterinnen des sozial verträglichen Ablebens: bevor sie altersbedingt horrende Tierarztkosten verursachten, warfen sie sich vors Auto, vor den Trecker oder unter den Hund. War auch kein Problem, gab immer wieder Nachschub. Meine Mutter wollte keine Katzen, aber sie zog sie magisch an, wie eine Wurzelfrau. Die Viecher rückten ihr auf die Pelle, mauzten herzzerreißend, bis sie sich ihrer erbarmte und ihnen eine Kleinigkeit zu essen reichte. Dann blieben sie. Nisteten sich ein. Zuerst durften sie ausschließlich im Fahrradschuppen residieren, dann kam das Futter regelmäßiger, dann durften sie auch mal für einen Moment ins Haus kommen, dann wurde doch anständiges Trockenfutter angeschafft, der alte abgeschnittene Eimer durch zwei ordentliche Tröge ersetzt – einer für die Brekkies, einer für das Wasser – und dann wurde es Winter und ach im ersten Jahr gab es dann eine ausgepolsterte Kiste im Fahrradschuppen, im zweiten Jahr durfte die Katze in den besonders kalten Nächten ins Haus. Das Katzenklo war auch längst angeschafft.
Dann, nach ein paar Jahren, suizidierte sich die Mieze oder verschwand spurlos. „Ich will keine neue Katze.“, sage meine Mutter täglich. Wie ein Mantra wiederholte sie es. Und wir wussten alle: es würde kein Jahr vergehen, bis der nächste Tiger sich in ihr Leben schlich.
„Heike, kannst Du noch einmal was zu Deinen Erfahrungen mit dem Kinderprogramm berichten?“
Ich zuckte zusammen. Was wollten sie hören? Meine ersten digitalen Gehversuche oder die analogen Alternativen? Da sie aber gerade noch in masturbatorischer Hingabe über diverse „tools“ schwadroniert hatten - diese Anglizismus-Fetischisten, konnten die nicht einfach Werkzeug sagen? - vermutete ich, dass es um meine Jungschar-Videokonferenzen ging. Also pokerte ich und erklärte: „Ich habe hier ja eine behütete, kleinbürgerliche Zielgruppe, wo die Eltern sich hingebungsvoll engagieren und ihren Kindern alles ermöglichen. Die sorgen dann dafür, dass die Kurzen zur passenden Zeit vor dem Laptop sitzen und eingewählt sind. Ich mache nur eine Stunde Programm, das reicht vollkommen und dann lasse ich erst einmal alle von sich erzählen, was sie gerade so loswerden wollen, da gibt es auch immer einen großen Bedarf, dann mache ich was mit Bewegung, zum Beispiel das Kaufhausspiel, wo man möglichst schnell einen bestimmten Gegenstand herbeischaffen muss, dann ein Ratespiel oder eben eine Basteleinheit, das Material habe ich den Kindern vorher persönlich vorbei gebracht und zum Schluss singe ich was vor oder lasse einzelne Kinder abwechselnd singen oder lese eine kurze Geschichte vor.“
Unbeeindrucktes Schweigen. Was zu erwarten war. Ich nutzte ja nur die Webcam. Na gut, auch das Whiteboard und den Chat, aber davon berichtete ich nicht, das war mir zu blöd. Ich schaltete mich stumm und entdeckte die Katze erneut. Aber die Kollegin fehlte. Ein Raunen tönte aus dem Computer. „Wo ist denn Lisa hin?“ Eckhart kicherte: „Ich glaube Lisa ist ‘ne Hexe und hat sich in eine Katze verwandelt.“
„Ein Animagus.“, präzisierte Oliver.
Die Katze sprang vom Stuhl.
„Lisa hat keinen Bock mehr.“, sagte Alex trocken.
Erst jetzt fiel mir auf, dass Henning vollkommen reglos vor dem Bildschirm saß, als wäre er eine Wachsfigur. Dann wurde der Bildschirm kurz schwarz, danach war er zurück.
„Sorry“, sagte Henning, die Verbindung ist instabil, ich war kurz eingefroren, hab‘ mich noch mal neu eingewählt.“
Die Katze sprang auf Hennings Schoß.
„Hallo Lisa:“, sagte Alex und kicherte. Henning zuckte zusammen. Da wusste ich was passiert war.
Ihr auch?
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