... newer stories
Freitag, 17. November 2017
Ohne Tote
c. fabry, 10:32h
„Aber wohin ist die Summe verschwunden?“, fragte Miriam fassungslos.
Kathrin zuckte mit den Schultern und sah sie aus resignierten, traurigen Augen an. „Hier geht doch alles nur noch drunter und drüber, wird von Jahr zu Jahr schlimmer, Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann uns der Laden endgültig um die Ohren fliegt.“
„Ja, wir haben einfach zu wenig Personal.“, seufzte Miriam.
„Das stimmt.“, erwiderte Kathrin. „Aber das ist nicht der Grund. Personalmangel erklärt, dass Arbeit länger liegen bleibt, auch dass mal ein Fehler passiert oder etwas vergessen wird. Aber hier haben wir es mit einem anderen Problem zu tun.“
„Was meinst du?“
„Missmanagement.“, murmelte Kathrin kaum hörbar.
„Du meinst, die Leitung ist Schuld?“, fragte Miriam mit großen Augen.
„Pscht! Wenn das in falsche Ohren gelangt, verschwinden wir schneller, als ein DinA4-Blatt im Aktenschredder.“
„Aber was genau meinst du denn?“, hakte Miriam nach.
„Erzähle ich dir heute Abend.“, erklärte Kathrin. „Komm doch mal auf ein Glas Wein bei mir vorbei.“
Wie in einem schlechten Horrorfilm öffnete sich die Tür plötzlich mit einem gespenstischen Knarren und Breisz stand im Rahmen, den er mittlerweile fast ausfüllte. Als er als junger Spund – in der Hierarchie noch unter Kathrin – hier angefangen hatte, war er zwar nicht athletisch, aber doch durchschnittlich schlank gewesen. Nach mittlerweile fünfzehn Jahren sah er aus wie eine über die Höchstmenge befüllte Wärmflasche mit beginnender Materialermüdung, das konnten auch die hochwertige Kleidung und die Designerbrille nicht wettmachen.
„Sind die neuen Personalverträge soweit vorbereitet, Frau Tanski?“, fragte er Miriam.
Sie griff nach einer Aktenhülle in der Ablage und überreichte sie wortlos ihrem Chef.
Der nickte grunzend und verschwand direkt wieder.
„Siehst Du, was ich meine?“, zischte Kathrin.
Miriam nickte.
Abends saßen sie mit einem frischen Rosé auf Kathrins Balkon. Sie hatten beide nur noch zwei Wochen bis um Sommerurlaub, da war endlich einmal wieder Zeit zum Durchatmen.
„War ja gruselig, wie der Breisz plötzlich wie aus dem Nichts auftauchte.“, nahm Miriam den Faden vom Vormittag wieder auf.
„Viel gruseliger finde ich, wie unsere Leute nach und nach verschwinden.“, erklärte Kathrin verbittert. „Meinst Du, Birte hat sich einfach so in einem anderen Amt beworben?“
„Nee.“, meinte Miriam. „Die hatte endgültig den Kaffee auf. Die ging ja förmlich unter in der Arbeit.“
„Ja, das wäre schon Grund genug gewesen.“, bemerkte Kathrin. „Aber Birte hatte vor allem Angst. Warum sonst, glaubst du, dass sie grundsätzlich nicht mehr für Rückfragen zur Verfügung steht? Sie hat sich in dem Zahlendschungel nicht mehr zurechtfinden können, weil Breisz ihr ständig dazwischen funkte, ihr Anweisungen erteilte, dieses so und jenes so zu buchen, weil er das so brauchte.“
„Du meinst, er wollte die Zahlen schönen?“
„Mindestens. Wenn er nicht sogar etwas beiseite geschafft hat. Ich glaube, Birte ist ihm draufgekommen und da hat er sie massiv unter Druck gesetzt, hat dafür gesorgt, dass es so aussieht, als wenn sie schlampig gearbeitet hätte, so dass er alles auf sie abwälzen konnte. So hat er es schon immer gemacht.“
„Warum hat er Dich eigentlich auf der Karriereleiter überholt?“, fragte Miriam. „Du warst doch ziemlich gut aufgestellt, noch keine dreißig und schon Leiterin der Personalabteilung. Ich weiß noch, wie du immer mit den Augen gerollt hast, als er anfing, dass er nichts kapierte, aber immer die Klappe ganz weit aufriss.“
„Ja, so setzt man sich durch in einer deutschen Verwaltung. Der Grund warum er Karriere gemacht hat und nicht ich ist ganz einfach: Er hat einen Penis und ich habe keinen.“
„Hättest dich ja hochschlafen können.“, kicherte Miriam.
„Ja, stimmt.“, überlegte Kathrin und grinste ironisch. „Den Job habe ich ja auch nur wegen meiner Rehaugen bekommen. Und beim Hochschlafen hat man dann ja auch einen Penis, zumindest vorübergehend.“
„Gab's Angebote?“
„Na ja, der Simons hat schon immer ein bisschen gierig geguckt, aber ich glaube, der war zu vorsichtig für sowas, das hätte seiner externen Karriere geschadet.“
„Also keine Chance auf einen Penis.“
„Auf jeden Fall kein Interesse. Ich habe auch keine Lust mehr, mich mit Breisz anzulegen. Der hat überall seine Buddys sitzen, da habe ich keine Chance. Ich mache nur noch das, was ich muss, dann gehe ich wenigstens nicht so abgearbeitet nach Hause und hier mache ich es mir dann schön.“
„Aber wenn wir den an den Eiern hätten, würden wir ihn endlich los.“, bemerkte Miriam eifrig. „Wenn wir ihn nicht aufhalten, dann fährt er den Karren endgültig in den Dreck und wir verlieren alle unseren Job.“
„Suchen wir uns eben einen neuen.“
„Aber so eine Position, wie du sie jetzt hast, bekommst du doch nie wieder, schon gar nicht mit diesem Gehalt. Obwohl du natürlich bessere Chancen hast als ein Verwaltungsleiter, der gerade einen ganzen Kirchenkreis in den Ruin getrieben hat.“
„Der kommt irgendwo unter. Fett schwimmt oben. Sieh dir das doch mal in der freien Wirtschaft an: da reiten Manager ganze Produktionszweige oder sogar Konzerne in den Konkurs, bekommen noch eine Abfindung, bei der es sich für uns gar nicht mehr lohnen würde, noch einmal arbeiten zu gehen und ratz fatz haben die einen neuen Job, in dem sie weiter Ressourcen verbrennen dürfen. Ich glaube, es gibt nicht eine einzige Frau, die sich so eine Nummer geleistet hat. Bestimmt sind die Mütter schuld, die ihre kleinen Sonnenscheine von Anfang an mit einem völlig unbegründeten, übersteigerten Selbstwertgefühl ausgestattet haben.“
„Und wenn wir mal etwas beiseite schaffen würden?“, überlegte Miriam. „Da käme niemand drauf, weil man uns das im Leben nicht zutraut.“
„Nein.“, sagte Kathrin, „am Ende landen wir im Knast, das ist es mir nicht wert. Aber ich hätte schon Lust auf einen kleinen Taschenspielertrick. Wenn wir Breisz seine Verfehlungen nicht nachweisen können, hängen wir ihm eben etwas an.“
Mit einem süffisanten Grinsen ließ sie ihren Dienstlaptop hochfahren.
ENDE
Kathrin zuckte mit den Schultern und sah sie aus resignierten, traurigen Augen an. „Hier geht doch alles nur noch drunter und drüber, wird von Jahr zu Jahr schlimmer, Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann uns der Laden endgültig um die Ohren fliegt.“
„Ja, wir haben einfach zu wenig Personal.“, seufzte Miriam.
„Das stimmt.“, erwiderte Kathrin. „Aber das ist nicht der Grund. Personalmangel erklärt, dass Arbeit länger liegen bleibt, auch dass mal ein Fehler passiert oder etwas vergessen wird. Aber hier haben wir es mit einem anderen Problem zu tun.“
„Was meinst du?“
„Missmanagement.“, murmelte Kathrin kaum hörbar.
„Du meinst, die Leitung ist Schuld?“, fragte Miriam mit großen Augen.
„Pscht! Wenn das in falsche Ohren gelangt, verschwinden wir schneller, als ein DinA4-Blatt im Aktenschredder.“
„Aber was genau meinst du denn?“, hakte Miriam nach.
„Erzähle ich dir heute Abend.“, erklärte Kathrin. „Komm doch mal auf ein Glas Wein bei mir vorbei.“
Wie in einem schlechten Horrorfilm öffnete sich die Tür plötzlich mit einem gespenstischen Knarren und Breisz stand im Rahmen, den er mittlerweile fast ausfüllte. Als er als junger Spund – in der Hierarchie noch unter Kathrin – hier angefangen hatte, war er zwar nicht athletisch, aber doch durchschnittlich schlank gewesen. Nach mittlerweile fünfzehn Jahren sah er aus wie eine über die Höchstmenge befüllte Wärmflasche mit beginnender Materialermüdung, das konnten auch die hochwertige Kleidung und die Designerbrille nicht wettmachen.
„Sind die neuen Personalverträge soweit vorbereitet, Frau Tanski?“, fragte er Miriam.
Sie griff nach einer Aktenhülle in der Ablage und überreichte sie wortlos ihrem Chef.
Der nickte grunzend und verschwand direkt wieder.
„Siehst Du, was ich meine?“, zischte Kathrin.
Miriam nickte.
Abends saßen sie mit einem frischen Rosé auf Kathrins Balkon. Sie hatten beide nur noch zwei Wochen bis um Sommerurlaub, da war endlich einmal wieder Zeit zum Durchatmen.
„War ja gruselig, wie der Breisz plötzlich wie aus dem Nichts auftauchte.“, nahm Miriam den Faden vom Vormittag wieder auf.
„Viel gruseliger finde ich, wie unsere Leute nach und nach verschwinden.“, erklärte Kathrin verbittert. „Meinst Du, Birte hat sich einfach so in einem anderen Amt beworben?“
„Nee.“, meinte Miriam. „Die hatte endgültig den Kaffee auf. Die ging ja förmlich unter in der Arbeit.“
„Ja, das wäre schon Grund genug gewesen.“, bemerkte Kathrin. „Aber Birte hatte vor allem Angst. Warum sonst, glaubst du, dass sie grundsätzlich nicht mehr für Rückfragen zur Verfügung steht? Sie hat sich in dem Zahlendschungel nicht mehr zurechtfinden können, weil Breisz ihr ständig dazwischen funkte, ihr Anweisungen erteilte, dieses so und jenes so zu buchen, weil er das so brauchte.“
„Du meinst, er wollte die Zahlen schönen?“
„Mindestens. Wenn er nicht sogar etwas beiseite geschafft hat. Ich glaube, Birte ist ihm draufgekommen und da hat er sie massiv unter Druck gesetzt, hat dafür gesorgt, dass es so aussieht, als wenn sie schlampig gearbeitet hätte, so dass er alles auf sie abwälzen konnte. So hat er es schon immer gemacht.“
„Warum hat er Dich eigentlich auf der Karriereleiter überholt?“, fragte Miriam. „Du warst doch ziemlich gut aufgestellt, noch keine dreißig und schon Leiterin der Personalabteilung. Ich weiß noch, wie du immer mit den Augen gerollt hast, als er anfing, dass er nichts kapierte, aber immer die Klappe ganz weit aufriss.“
„Ja, so setzt man sich durch in einer deutschen Verwaltung. Der Grund warum er Karriere gemacht hat und nicht ich ist ganz einfach: Er hat einen Penis und ich habe keinen.“
„Hättest dich ja hochschlafen können.“, kicherte Miriam.
„Ja, stimmt.“, überlegte Kathrin und grinste ironisch. „Den Job habe ich ja auch nur wegen meiner Rehaugen bekommen. Und beim Hochschlafen hat man dann ja auch einen Penis, zumindest vorübergehend.“
„Gab's Angebote?“
„Na ja, der Simons hat schon immer ein bisschen gierig geguckt, aber ich glaube, der war zu vorsichtig für sowas, das hätte seiner externen Karriere geschadet.“
„Also keine Chance auf einen Penis.“
„Auf jeden Fall kein Interesse. Ich habe auch keine Lust mehr, mich mit Breisz anzulegen. Der hat überall seine Buddys sitzen, da habe ich keine Chance. Ich mache nur noch das, was ich muss, dann gehe ich wenigstens nicht so abgearbeitet nach Hause und hier mache ich es mir dann schön.“
„Aber wenn wir den an den Eiern hätten, würden wir ihn endlich los.“, bemerkte Miriam eifrig. „Wenn wir ihn nicht aufhalten, dann fährt er den Karren endgültig in den Dreck und wir verlieren alle unseren Job.“
„Suchen wir uns eben einen neuen.“
„Aber so eine Position, wie du sie jetzt hast, bekommst du doch nie wieder, schon gar nicht mit diesem Gehalt. Obwohl du natürlich bessere Chancen hast als ein Verwaltungsleiter, der gerade einen ganzen Kirchenkreis in den Ruin getrieben hat.“
„Der kommt irgendwo unter. Fett schwimmt oben. Sieh dir das doch mal in der freien Wirtschaft an: da reiten Manager ganze Produktionszweige oder sogar Konzerne in den Konkurs, bekommen noch eine Abfindung, bei der es sich für uns gar nicht mehr lohnen würde, noch einmal arbeiten zu gehen und ratz fatz haben die einen neuen Job, in dem sie weiter Ressourcen verbrennen dürfen. Ich glaube, es gibt nicht eine einzige Frau, die sich so eine Nummer geleistet hat. Bestimmt sind die Mütter schuld, die ihre kleinen Sonnenscheine von Anfang an mit einem völlig unbegründeten, übersteigerten Selbstwertgefühl ausgestattet haben.“
„Und wenn wir mal etwas beiseite schaffen würden?“, überlegte Miriam. „Da käme niemand drauf, weil man uns das im Leben nicht zutraut.“
„Nein.“, sagte Kathrin, „am Ende landen wir im Knast, das ist es mir nicht wert. Aber ich hätte schon Lust auf einen kleinen Taschenspielertrick. Wenn wir Breisz seine Verfehlungen nicht nachweisen können, hängen wir ihm eben etwas an.“
Mit einem süffisanten Grinsen ließ sie ihren Dienstlaptop hochfahren.
ENDE
... link (6 Kommentare) ... comment
... older stories