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Freitag, 9. September 2016
Homophobie – abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 23:01h
Philipp Tiemann erschien mit dem Fahrrad zum Gottesdienst. Sibylle war entzückt von dem neuen Pfarrer, der mit seinem fröhlichen, offenen Lächeln einfach jeden sofort für sich einnahm. Tizian erwartete sicher eine tolle Konfirmandenzeit. Als Philipp Tiemann sein Fahrrad abschloss, bemerkte Sibylle diesen entzückenden Aufkleber auf der Hinterradverkleidung seines Hollandrads. Eine niedliche Fahne in den Farben des Regenbogens.
„Ist das ein Hoffnungssymbol?“, fragte Sibylle um Aufmerksamkeit heischend.
„Das könnte man so sehen.“, gab Philipp Tiemann Auskunft.
„Ich meine, in der Geschichte von der Arche war der Regenbogen ja auch ein Zeichen der Hoffnung.“
„Ja, das stimmt.“, erklärte der Pfarrer. „In diesem Fall geht es aber vor allem um das Bunte, Darum, dass Menschen unterschiedlich sind und die Fahne ist ein Symbol für lesbischen und schwulen Stolz und die Vielfalt dieser Lebensweise.“
Sibylle erbleichte augenblicklich, um kurz darauf vor Scham rot anzulaufen. Sie bedankte sich steif für die Auskunft und bemühte sich würdigen Schrittes in die Kirche zu gehen, in der ihr Mann schon auf sie wartete.
Während des Gottesdienstes nahm sie keinerlei Hinweis auf die Homosexualität des Theologen war, er sprach ja auch über nichts, was man damit hätte in Verbindung bringen können. Aber hatte er nicht doch auch diesen weibischen Singsang in der Stimme? Bewegte er sich nicht ein bisschen zu wiegend in den Hüften? Und war sein Lächeln, das sie als offen und fröhlich empfunden hatte, nicht doch das eines lüsternen Perversen? Sibylle wusste, dass man solche Gedanken heutzutage nicht mehr öffentlich äußern durfte, ohne dafür von allen Seiten angegriffen zu werden, aber sie war in ordentlichen Verhältnissen aufgewachsen, hatte einen anständigen Mann geheiratet und mit ihm einen wunderbaren Jungen in die Welt gesetzt, den sie um jeden Preis auf den rechten Weg bringen wollte.
Beim Mittagessen berichtete sie Burkhard, ihrem Mann, von ihrem erschreckenden Erlebnis.
„Das ist doch wirklich nicht zu fassen!“, echauffierte sich Burkhard. „Sitzen die im Presbyterium auf ihren Augen und Ohren? Haben die keinen Verstand? So einen Perversen kann man doch nicht auf Konfirmanden loslassen, das ist doch nur eine Frage der Zeit, wann der einen Jungen in die Sakristei lockt und ihn zu unsittlichen Handlungen überredet. Diese Widerlinge, die sich gegenseitig ihre Geschlechtsteile in den Darm schieben, ich glaube, das will ich mir gar nicht vorstellen.“
„Ich wette, die im Presbyterium wissen das und scheren sich gar nicht darum.“, überlegte Sibylle. „Heutzutage finden das ja alle normal.“
„Das ist auch so etwas,das ich nicht verstehen kann.“, setzte Burkhard seine Tirade fort. „Alle finden es mittlerweile egal oder sogar irgendwie niedlich oder sogar toll, wenn jemand homosexuell ist, als wäre das eine besondere Lebensleistung. Die machen sich doch überall breit, ob im Sport, als Lehrer, Polizisten, Unternehmer, ja sogar Politiker. Und statt sich dafür zu schämen und es geheim zu halten, posaunen sie es auch noch extra laut heraus. In den Medien und als Künstler kannst du als normaler Mann ja heutzutage gar nichts mehr werden, die nehmen nur noch schwule Paradiesvögel und stahlharte Kampflesben. Aber eins sage ich dir: unseren Tizian kriegt der nicht in die Finger.“
„Natürlich nicht.“, sagte Sibylle. „Das wäre ja wohl der Gipfel!“
Burkhard und Sibylle meinten es ernst. Als am Dienstag der Konfirmanden-Unterricht begann, entschuldigten sie ihren Sohn mit einem Zahnarztbesuch. In der nächsten Woche hatte er angeblich Kopfschmerzen. So ging es noch zwei Mal und dann stand plötzlich an einem Montag Morgen ein skandalöser Bericht in einer bekannten Boulevard-Zeitung:
VIKAR MACHT KONFI ZUM JUNKIE
Philipp T. war nur ein einfacher Vikar in einer evangelischen Gemeinde und gab Konfirmanden-Unterricht. Doch was er nach dem Unterricht in einem Hinterzimmer dem damals 13-Jährigen Alexander S. antat, trieb diesen vor Verzweiflung in die Drogensucht. „Er zwang mich, sein Glied anzufassen und sogar zu küssen.“, erklärt der heute 17-jährige, schwer Drogenabhängige. „Mein Leben ist eine Katastrophe, ich kann mich auf nichts mehr konzentrieren. Der Schmerz ist einfach zu groß.“
„Skandalös, dass man so einen auch noch Pfarrer werden lässt.“ erklärte unsere
Informantin, deren Name aus Quellenschutz-Gründen nicht bekannt gegeben werden darf. Heute ist Philipp T. ordinierter Gemeindepfarrer und darf seelenruhig Ausschau halten nach neuen Opfern. Die Sex-Skandale aus der katholischen Kirche, machen auch vor der Evangelischen nicht halt. Eltern, schützt Eure Kinder!
Philipp Tiemanns Unschuldsbeteuerungen erschienen dem Presbyterium glaubwürdig und sie unterstützten ihn bei seiner Verleumdungsklage gegen die Boulevard-Zeitung. Aber die polizeilichen Untersuchungen, die den Anschuldigungen auf den Fuß folgten, ließen die Mehrheit der Gemeindeglieder deutlich auf Distanz gehen und schon bald wurde erkennbar, dass der Pfarrer in der Gemeinde nicht mehr zu halten war. Sie unterstützten ihn bei der Suche nach einer neuen Stelle, wo er noch einmal ganz von vorn anfangen konnte.
Nur wenige Wochen später bekam die Gemeinde eine freundliche Vakanzvertretung: Ulrike Grönefeld, Pfarrerin zur Anstellung. Es war nicht ausgeschlossen, dass aus dem Vertretungsverhältnis ein dauerhaftes Anstellungsverhältnis würde und man die patente, junge Frau wählen würde.
Zufrieden fuhr Sybille ihren Sohn zum Unterricht und brachte auf dem Rückweg Kuchen mit. Burkhard hatte den Nachmittag frei und sie tranken gemeinsam Kaffee auf der Terrasse.
„Ich bin ja so froh, dass die Frau Grönefeld jetzt da ist.“, sagte Sibylle. „ich hatte schon befürchtet, wir müssten Tizian woanders zum Konfirmanden-Unterricht anmelden. Und die Frau Grönefeld ist ja so freundlich und herzlich, da bin ich ganz zuversichtlich.“
„Ja, und durchgreifen kann sie, glaube ich, auch.“, gab Burkhard seiner Frau recht. „Nicht so ein butterweiches, seichtes Gesäusel sondern eine klare Kante. Ich war ja zwischendurch unsicher, ob wir das Recht so beugen dürfen, aber jetzt denke ich, wir haben alles richtig gemacht und die Welt vor einem potentiellen Täter bewahrt.“
„Wer weiß, ob der nicht vielleicht wirklich Dreck am Stecken hatte?“, überlegte Sibylle. „Warum sonst hätte dieser Fixer so bereitwillig mitgespielt?“
„Weil er das Geld gebrauchen konnte.“
„Ja aber warum ist er überhaupt zum Fixer geworden? Ich habe neulich noch gelesen, dass die meisten Drogenabhängigen Opfer von sexuellem Missbrauch sind.“
„Wenn du mich fragst, sind das alles Sozialversager. Aber so was darf man ja heute nicht mehr laut sagen. Glaubst du unser Sohn würde Drogen nehmen, wenn man ihm so etwas antun würde? Der würde sich wehren und uns hinterher erzählen, was passiert ist. Dann würde der Täter bestraft und das wäre für Tizian Therapie genug. So sieht das nämlich aus.“
Siebzehn Monate später radelte Tizian zu einem Gespräch mit der Pfarrerin, die tatsächlich mittlerweile gewählt worden war. Er stand kurz vor der Konfirmation und musste wie alle anderen auch zu einem persönlichen Einzelgespräch erscheinen. Seine Eltern waren begeistert, dass sie sich so viel Zeit für ihre Konfirmanden nahm. Tizian hätte gern darauf verzichtet, aber das sagte er nicht, denn er wollte seine Eltern nicht enttäuschen.
Die Pfarrerin empfing ihn in Jeans und legerer Bluse, das stufig geschnittene Haar trug sie offen. Sie strahlte ihn an und bat ihn, in ihrem Arbeitszimmer Platz zu nehmen, sie hole in der Zwischenzeit etwas zu trinken.Tizian sah sich um. Alles wirkte irgendwie Puppenstuben-artig, die Möbel, die Farben, gar nicht wie ein Arbeitszimmer. Er hatte auf dem plüschigen orange-braunen Sofa Platz genommen, was er augenblicklich bereute, denn die Pfarrerin setzte sich neben ihn. Es ging um seinen Konfirmationsspruch, aber er konnte sich kaum auf das konzentrieren, was sie sagte, weil ihm ihr scharfer Geruch nach längst getrocknetem und sich nun auf der Haut zersetzenden Schweiß in die Nase zog. Würde sie doch nur etwas mehr Abstand halten! Er musste sich irgendwelche Bilder ansehen, die zu seinem Spruch passten und dabei kam sie mit ihrem Gesicht so nah an seines, dass er nun auch ihren schlechten Atem riechen konnte. Als das Gespräch endlich beendet schien und die Theologin bereits aufgestanden war, hielt sie plötzlich inne.
„Sag mal Tizian“, sprach sie ihn noch einmal an. „Deine Eltern haben mir erzählt, dass du ganz ausgezeichnet Klarinette spielst und gern häufiger eine Möglichkeit zum Auftreten hättest. Wie wäre es denn, wenn du am Sonntag nach den Konfirmationen etwas zum Ausgang spielen würdest?“
„Ja, das könnte ich machen.“, brachte Tizian mühsam hervor. Er wollte nur brav zu allem ja und Amen sagen, damit er nur möglichst schnell hier herauskam. Eigentlich war er froh, dass er nach der Konfirmation nicht mehr sonntags morgens in die Kirche gehen musste.
„Toll!“, sagte die Pfarrerin, beugte sich über ihn und drückte ihn unvermittelt an sich, so dass sie sein Gesicht gegen ihre stinkenden Brüste presste, die halb nackt aus dem leicht geöffneten Blusenausschitt herauslugten. Und dann flüsterte sie: „Siehst du, Tizian, das ist eben der Vorteil, wenn man sich ein bisschen näher kommt. Deine Eltern werden sich sicher freuen.“
Als er ihr hastig zum Abschied die Hand reichte, sagte sie noch einmal: „Und grüß deine Eltern ganz lieb von mir.“, dann radelte er wie ein Wahnsinniger nach Hause, um bloß möglichst schnell weg zu kommen, von dem Puppenstuben-Arbeitszimmer und der zudringlicheren Pfarrerin, auch wenn er ahnte, dass es eine ganze Weile dauern würde, bis er ihr endgültig entkommen sollte.
„Ist das ein Hoffnungssymbol?“, fragte Sibylle um Aufmerksamkeit heischend.
„Das könnte man so sehen.“, gab Philipp Tiemann Auskunft.
„Ich meine, in der Geschichte von der Arche war der Regenbogen ja auch ein Zeichen der Hoffnung.“
„Ja, das stimmt.“, erklärte der Pfarrer. „In diesem Fall geht es aber vor allem um das Bunte, Darum, dass Menschen unterschiedlich sind und die Fahne ist ein Symbol für lesbischen und schwulen Stolz und die Vielfalt dieser Lebensweise.“
Sibylle erbleichte augenblicklich, um kurz darauf vor Scham rot anzulaufen. Sie bedankte sich steif für die Auskunft und bemühte sich würdigen Schrittes in die Kirche zu gehen, in der ihr Mann schon auf sie wartete.
Während des Gottesdienstes nahm sie keinerlei Hinweis auf die Homosexualität des Theologen war, er sprach ja auch über nichts, was man damit hätte in Verbindung bringen können. Aber hatte er nicht doch auch diesen weibischen Singsang in der Stimme? Bewegte er sich nicht ein bisschen zu wiegend in den Hüften? Und war sein Lächeln, das sie als offen und fröhlich empfunden hatte, nicht doch das eines lüsternen Perversen? Sibylle wusste, dass man solche Gedanken heutzutage nicht mehr öffentlich äußern durfte, ohne dafür von allen Seiten angegriffen zu werden, aber sie war in ordentlichen Verhältnissen aufgewachsen, hatte einen anständigen Mann geheiratet und mit ihm einen wunderbaren Jungen in die Welt gesetzt, den sie um jeden Preis auf den rechten Weg bringen wollte.
Beim Mittagessen berichtete sie Burkhard, ihrem Mann, von ihrem erschreckenden Erlebnis.
„Das ist doch wirklich nicht zu fassen!“, echauffierte sich Burkhard. „Sitzen die im Presbyterium auf ihren Augen und Ohren? Haben die keinen Verstand? So einen Perversen kann man doch nicht auf Konfirmanden loslassen, das ist doch nur eine Frage der Zeit, wann der einen Jungen in die Sakristei lockt und ihn zu unsittlichen Handlungen überredet. Diese Widerlinge, die sich gegenseitig ihre Geschlechtsteile in den Darm schieben, ich glaube, das will ich mir gar nicht vorstellen.“
„Ich wette, die im Presbyterium wissen das und scheren sich gar nicht darum.“, überlegte Sibylle. „Heutzutage finden das ja alle normal.“
„Das ist auch so etwas,das ich nicht verstehen kann.“, setzte Burkhard seine Tirade fort. „Alle finden es mittlerweile egal oder sogar irgendwie niedlich oder sogar toll, wenn jemand homosexuell ist, als wäre das eine besondere Lebensleistung. Die machen sich doch überall breit, ob im Sport, als Lehrer, Polizisten, Unternehmer, ja sogar Politiker. Und statt sich dafür zu schämen und es geheim zu halten, posaunen sie es auch noch extra laut heraus. In den Medien und als Künstler kannst du als normaler Mann ja heutzutage gar nichts mehr werden, die nehmen nur noch schwule Paradiesvögel und stahlharte Kampflesben. Aber eins sage ich dir: unseren Tizian kriegt der nicht in die Finger.“
„Natürlich nicht.“, sagte Sibylle. „Das wäre ja wohl der Gipfel!“
Burkhard und Sibylle meinten es ernst. Als am Dienstag der Konfirmanden-Unterricht begann, entschuldigten sie ihren Sohn mit einem Zahnarztbesuch. In der nächsten Woche hatte er angeblich Kopfschmerzen. So ging es noch zwei Mal und dann stand plötzlich an einem Montag Morgen ein skandalöser Bericht in einer bekannten Boulevard-Zeitung:
VIKAR MACHT KONFI ZUM JUNKIE
Philipp T. war nur ein einfacher Vikar in einer evangelischen Gemeinde und gab Konfirmanden-Unterricht. Doch was er nach dem Unterricht in einem Hinterzimmer dem damals 13-Jährigen Alexander S. antat, trieb diesen vor Verzweiflung in die Drogensucht. „Er zwang mich, sein Glied anzufassen und sogar zu küssen.“, erklärt der heute 17-jährige, schwer Drogenabhängige. „Mein Leben ist eine Katastrophe, ich kann mich auf nichts mehr konzentrieren. Der Schmerz ist einfach zu groß.“
„Skandalös, dass man so einen auch noch Pfarrer werden lässt.“ erklärte unsere
Informantin, deren Name aus Quellenschutz-Gründen nicht bekannt gegeben werden darf. Heute ist Philipp T. ordinierter Gemeindepfarrer und darf seelenruhig Ausschau halten nach neuen Opfern. Die Sex-Skandale aus der katholischen Kirche, machen auch vor der Evangelischen nicht halt. Eltern, schützt Eure Kinder!
Philipp Tiemanns Unschuldsbeteuerungen erschienen dem Presbyterium glaubwürdig und sie unterstützten ihn bei seiner Verleumdungsklage gegen die Boulevard-Zeitung. Aber die polizeilichen Untersuchungen, die den Anschuldigungen auf den Fuß folgten, ließen die Mehrheit der Gemeindeglieder deutlich auf Distanz gehen und schon bald wurde erkennbar, dass der Pfarrer in der Gemeinde nicht mehr zu halten war. Sie unterstützten ihn bei der Suche nach einer neuen Stelle, wo er noch einmal ganz von vorn anfangen konnte.
Nur wenige Wochen später bekam die Gemeinde eine freundliche Vakanzvertretung: Ulrike Grönefeld, Pfarrerin zur Anstellung. Es war nicht ausgeschlossen, dass aus dem Vertretungsverhältnis ein dauerhaftes Anstellungsverhältnis würde und man die patente, junge Frau wählen würde.
Zufrieden fuhr Sybille ihren Sohn zum Unterricht und brachte auf dem Rückweg Kuchen mit. Burkhard hatte den Nachmittag frei und sie tranken gemeinsam Kaffee auf der Terrasse.
„Ich bin ja so froh, dass die Frau Grönefeld jetzt da ist.“, sagte Sibylle. „ich hatte schon befürchtet, wir müssten Tizian woanders zum Konfirmanden-Unterricht anmelden. Und die Frau Grönefeld ist ja so freundlich und herzlich, da bin ich ganz zuversichtlich.“
„Ja, und durchgreifen kann sie, glaube ich, auch.“, gab Burkhard seiner Frau recht. „Nicht so ein butterweiches, seichtes Gesäusel sondern eine klare Kante. Ich war ja zwischendurch unsicher, ob wir das Recht so beugen dürfen, aber jetzt denke ich, wir haben alles richtig gemacht und die Welt vor einem potentiellen Täter bewahrt.“
„Wer weiß, ob der nicht vielleicht wirklich Dreck am Stecken hatte?“, überlegte Sibylle. „Warum sonst hätte dieser Fixer so bereitwillig mitgespielt?“
„Weil er das Geld gebrauchen konnte.“
„Ja aber warum ist er überhaupt zum Fixer geworden? Ich habe neulich noch gelesen, dass die meisten Drogenabhängigen Opfer von sexuellem Missbrauch sind.“
„Wenn du mich fragst, sind das alles Sozialversager. Aber so was darf man ja heute nicht mehr laut sagen. Glaubst du unser Sohn würde Drogen nehmen, wenn man ihm so etwas antun würde? Der würde sich wehren und uns hinterher erzählen, was passiert ist. Dann würde der Täter bestraft und das wäre für Tizian Therapie genug. So sieht das nämlich aus.“
Siebzehn Monate später radelte Tizian zu einem Gespräch mit der Pfarrerin, die tatsächlich mittlerweile gewählt worden war. Er stand kurz vor der Konfirmation und musste wie alle anderen auch zu einem persönlichen Einzelgespräch erscheinen. Seine Eltern waren begeistert, dass sie sich so viel Zeit für ihre Konfirmanden nahm. Tizian hätte gern darauf verzichtet, aber das sagte er nicht, denn er wollte seine Eltern nicht enttäuschen.
Die Pfarrerin empfing ihn in Jeans und legerer Bluse, das stufig geschnittene Haar trug sie offen. Sie strahlte ihn an und bat ihn, in ihrem Arbeitszimmer Platz zu nehmen, sie hole in der Zwischenzeit etwas zu trinken.Tizian sah sich um. Alles wirkte irgendwie Puppenstuben-artig, die Möbel, die Farben, gar nicht wie ein Arbeitszimmer. Er hatte auf dem plüschigen orange-braunen Sofa Platz genommen, was er augenblicklich bereute, denn die Pfarrerin setzte sich neben ihn. Es ging um seinen Konfirmationsspruch, aber er konnte sich kaum auf das konzentrieren, was sie sagte, weil ihm ihr scharfer Geruch nach längst getrocknetem und sich nun auf der Haut zersetzenden Schweiß in die Nase zog. Würde sie doch nur etwas mehr Abstand halten! Er musste sich irgendwelche Bilder ansehen, die zu seinem Spruch passten und dabei kam sie mit ihrem Gesicht so nah an seines, dass er nun auch ihren schlechten Atem riechen konnte. Als das Gespräch endlich beendet schien und die Theologin bereits aufgestanden war, hielt sie plötzlich inne.
„Sag mal Tizian“, sprach sie ihn noch einmal an. „Deine Eltern haben mir erzählt, dass du ganz ausgezeichnet Klarinette spielst und gern häufiger eine Möglichkeit zum Auftreten hättest. Wie wäre es denn, wenn du am Sonntag nach den Konfirmationen etwas zum Ausgang spielen würdest?“
„Ja, das könnte ich machen.“, brachte Tizian mühsam hervor. Er wollte nur brav zu allem ja und Amen sagen, damit er nur möglichst schnell hier herauskam. Eigentlich war er froh, dass er nach der Konfirmation nicht mehr sonntags morgens in die Kirche gehen musste.
„Toll!“, sagte die Pfarrerin, beugte sich über ihn und drückte ihn unvermittelt an sich, so dass sie sein Gesicht gegen ihre stinkenden Brüste presste, die halb nackt aus dem leicht geöffneten Blusenausschitt herauslugten. Und dann flüsterte sie: „Siehst du, Tizian, das ist eben der Vorteil, wenn man sich ein bisschen näher kommt. Deine Eltern werden sich sicher freuen.“
Als er ihr hastig zum Abschied die Hand reichte, sagte sie noch einmal: „Und grüß deine Eltern ganz lieb von mir.“, dann radelte er wie ein Wahnsinniger nach Hause, um bloß möglichst schnell weg zu kommen, von dem Puppenstuben-Arbeitszimmer und der zudringlicheren Pfarrerin, auch wenn er ahnte, dass es eine ganze Weile dauern würde, bis er ihr endgültig entkommen sollte.
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