Dienstag, 21. Juni 2016
Gott ist groß – abgeschlossener Kurzkrimi
„Wenn noch irgendwelche Eil-Mails kommen, will ich es nicht wissen.“, erklärte Keller. Ich will heute pünktlich Feierabend machen. Kriminalkommissarin Sabine Kerkenbrock grinste: „Gehen Sie jetzt gleich zum Speed-Dating oder oder was?“
„Nun werden Sie mal nicht unverschämt, junge Kollegin.“, erwiderte Stefan Keller. „Ausnahmsweise gehe ich mal zu einer Veranstaltung in meiner Kirchengemeinde, also da, wo ich wohne, und der Besuch ist nicht dienstlich.“
„Dass ich das noch erleben darf. Worum geht es denn? Bibelkrimis?“
„Um Gottes Willen, nein!“, erwiderte Keller. „Da kommt ein muslimischer Arzt; der einen informativen Vortrag über die islamische Lebensweise halten wird. Wenn so jemand das in einem Evangelischen Gemeindehaus tut, wird das sicher spannend.“
„Ja, das würde mich auch interessieren.“, erklärte Kerkenbrock. „Aber ich habe den heutigen Abend leider schon für meinen Liebsten reserviert.“
// SIE SIND SCHON ÜBERALL; DRINGEN ÜBERALL EIN; SELBST DA; WO SIE NUN WIRKLICH NICHT HINGEHÖREN; DA MUSS MAN DOCH EIN ZEICHEN SETZEN; DAS GEHT NICHT SO WEITER; ERST VERFÜHREN SIE UNSERE FRAUEN; DANN VERZIEHEN SIE UNSERE KINDER UND AM ENDE ZIEHEN SIE GANZ IN UNSERE KIRCHEN EIN UND MACHEN SIE ALLE ZU MOSCHEEN; UND DIE; DIE ICH FÜR MEINE SCHWESTERN UND BRÜDER IN CHRISTO HALTE; SEHEN DAS NICHT; GEHEN ZU IHREN FESTEN UND HOLEN SIE IN UNSERE KIRCHEN; GERADE SO; ALS WÄREN SIE KEINE HEIDEN; MAN MUSS IHNEN DIE AUGEN ÖFFNEN!//
Keller betrat das Gemeindehaus gleich neben dem Bürgerpark. Im Zentrum einer Großstadt sahen die evangelischen Christen in der Summe doch anders aus als in einem provinziellen Dorf, aber seltsame Vögel war auch hier zahlreich vertreten: die esoterisch Angehauchten in Walla Walla-Gewändern mit buntem Schal, der wie eine Stola locker im Nacken lag, ein paar blitzsaubere Überkorrekte mit verkniffenen Mündern, die möglicherweise gleich aufstanden und die zu Gewalt aufrufenden Suren im Koran rezitierten, um zu beweisen, wie rückschrittlich der Islam ist, die betont Nachlässigen mit lieblos geschorenen Kurzhaarfrisuren, verbeulten Jeans und verblichenen T-Shirts, vor allem aber die dynamischen jungen Senioren: drahtig, braungebrannt in teurer Funktionskleidung und mit geradezu ekelhaft zur Schau gestellter Wachheit. Er hätte am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht, wenn ihn das Thema nicht so interessiert hätte. Er entdeckte den Referenten. Der wirkte immerhin äußerst sympathisch, er war sich nicht sicher, aber er hatte das Gefühl, ihn in anderen Zusammenhängen schon einmal kennengelernt zu haben. Womöglich als Patient, immerhin war er von Beruf Arzt.
//LETZTES MAL HABEN SIE MICH RAUS GESCHMISSEN; GERADE SO; ALS WÄRE ICH DER FEIND: WER IHR WIRKLICHER FEIND IST; ERKENNEN SIE NICHT; DOCH WER SICH WEIGERT ZU ERKENNEN; WER SICH WEIGERT; DER MUSS BRENNEN!//
Keller spürte, wie sein Mobiltelefon in der Hosentasche vibrierte. Er hätte es ignorieren können, aber er brachte es nicht fertig. „Vielleicht ist es ja nichts Wichtiges“, dachte er und sah aufs Display. „Ach, Kerkenbrock!, zischte er ärgerlich. „Was hast du denn jetzt wieder vergessen.“ Widerwillig gab er seinen guten Platz auf und ging vor die Tür. Irritiert blickte er in den Nieselregen, denn es roch penetrant nach Grillanzünder. „Wer grillt denn bei diesem Wetter?“, dachte er im ersten Moment, dann spürte er wie automatisch ein Schalter in seinem Kopf umgelegt wurde. „Brandbeschleuniger!“, dachte er nur noch, rannte zurück ins Gemeindehaus und sprach sofort einen der Verantwortlichen an: „Bringen Sie bitte so schnell wir möglich alle Leute hier raus, es besteht allerhöchste Brandgefahr.“
„Klar“, erwiderte der etwas debil drein blickende Ehrenamtliche mit stoischer Ruhe. „Wo Muslime reden, da ist Feuer, höhöhö.“
„Verdammt, ich meine es ernst!“, zischte Keller. „Draußen riecht es überall nach brandbeschleuniger. Wenn Sie nicht umgehend handeln, bricht hier eine Massenpanik aus.“ Er zückte seinen Dienstausweis. „Also tun Sie jetzt was ich sage, ich fordere in der Zwischenzeit Verstärkung an.“
Keller alarmierte eine Streife und die Feuerwehr und beteiligte sich dann an einer möglichst störungsfreien Evakuierung der etwa 80 Veranstaltungsbesucher.
//WIESO KOMMEN JETZT ALLE RAUS? WER HAT MICH VERRATEN? WIE SOLL ICH SIE JETZT BESTRAFEN? ICH MUSS DOCH EIN ZEICHEN SETZEN! VIELLEICHT NEHME ICH MIR NUR DEN MUSELMANN VOR; EIN BISSCHEN BENZIN HABE ICH JA NOCH IN DER EINEN FLASCHE//
Kellers Blick schweifte umher, er behielt besonders den Referenten im Auge, dem der offenkundig geplante Brandanschlag womöglich galt. Dann fiel sein Blick auf einen Typen in der Menge, der so gar nicht ins Bild passte. Er trug einen altmodischen taillierten Anorak, braune Kordhosen und Sandalen, die er gefühlt zum letzten Mal in den Siebziger Jahren in einem Schuhgeschäft gesehen hatte. Auf dem Rücken trug der Mann, der sich langsam dem Referenten näherte, einen Rucksack, den er nun vorsichtig abnahm. Instinktiv schoss Keller auf ihn zu und sprach ihn an: „Waren Sie eben auch im Gemeindehaus? Ich habe Sie da gar nicht gesehen.“
Überrascht fuhr der Mann herum und stotterte: „Doch doch, äh ,nein, ich meine, ich war gerade auf dem Weg ins Haus, als mir alle entgegen kamen, was ist denn da los?“
„Darf ich mal in Ihren Rucksack sehen?“, fragte Keller.
„Wieso sollten Sie?“
„Weil ich Polizeibeamter bin und vermute, dass hier ein Brandanschlag geplant ist.“
Plötzlich setzte sich der Mann in Bewegung und versucht wegzulaufen, aber im allgemeinnen Gedränge war das praktisch unmöglich und Keller schaffte es ihn festzuhalten. Mittlerweile war auch die Streife da und die Kollegen fanden im Rucksack des Festgenommenen die Reste des Brandbeschleunigers. Sie nahmen den Täter in Gewahrsam. Er verweigerte jede Aussage, wurde aber aufgrund der glasklaren Indizien zu einer langen Haftstrafe verurteilt.
//SIE KRIEGEN MICH NICHT KLEIN; ICH WERDE DAS HIER ÜBERLEBEN; ICH MUSS ES ÜBERLEBEN; DENN DIE WELT WARTET DARAUF; DASS ICH SIE RETTE; DER TAG WIRD KOMMEN; WO SIE MICH GEHEN LASSEN MÜSSEN; ICH MACHE HIER KEINEN FEHLER; HIER HÄTTE ICH KEINE CHANCE; HIER SIND JA NUR SCHWERVERBRECHER UND HARTGESOTTENE AUFPASSER; ABER WENN ICH WIEDER DRAUSSEN BIN; SIND SIE DRAN ND DIESMAL MACHE ICH KEINE FEHLER UND DANN WIRD ALLES GUT.//

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