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Dienstag, 21. Juni 2016
Gott kann grausam sein – abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 01:52h
Mitten auf der Verkehrsinsel stand ein einzelner Schuh.
Er hatte das Schulgebäude gerade verlassen und freute sich auf die Ruhe seines Arbeitszimmers, eine Tasse Cappuccino und das Short Bread, das seine Schwester ihm gebacken hatte, da standen sie plötzlich vor ihm. Er spürte wie sein Gesicht vor Unsicherheit zuckte, aber er bemühte sich, unbeugsam zu wirken. „Was gibt’s denn noch?“, fragte er ungeduldig, da machte der grinsende Alex einen Schritt auf ihn zu und drückte etwas Kaltes und Hartes gegen seine Kehle. „Und bist du kitzelig?“, fragte der renitente Schüler.
„Könnte lebensgefährlich werden, wenn man mit dem Messer gekitzelt wird.“, gab der dicke Andres zu bedenken.
„Du gibst mir doch keine Fünf oder Sechs in Religion, Pastor?“, fragte Alex, „Denn sonst müsste ich dich kräftig durchkitzeln.“
„Nein, natürlich nicht.“, erwiderte der Berufsschulpfarrer geistesgegenwärtig.
„Da verlass ich mich jetzt aber drauf.“, sagte Alex. „Ein Pastor darf ja nicht lügen.“
„Und wenn doch“, mischte der dicke Andres sich ein, „Wird er von Gott bestraft. Und Gott hat ein Messer. Also ab nach Hause mit dir. Und schön vorsichtig.“
Die Schüler verschwanden in Richtung Stadtmitte, sein Heimweg verlief in entgegengesetzter Richtung. Wie ferngesteuert setzte er einen Fuß vor den anderen. Nur ein Stück die Straße herunter, dann auf die andere Seite, einen Moment an der Bushaltestelle warten, fünf Minuten Busfahrt, noch einmal ein Stück die Straße herunter, links abbiegen und dann lag es da gleich um die Ecke, das schöne Stadthaus, in dem sich seine Wohnung befand, mit der Espressomaschine und der mit Ornamenten verzierten Keksdose.
Der Schmerz kam diesmal ganz plötzlich, nicht in pulsierenden Wellen wie sonst, sondern wie ein Fausthieb, gewaltig, reißend und atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes. Sein linker Arm brannte. Instinktiv fasste er sich an die Brust. „Ich muss es bis zum Bus schaffen“, dachte er, dann brach er zusammen.
„Was willst du Pastor? Ich habe hier mit meinen Kumpels was Dringendes zu besprechen, also misch dich nicht ein.“
„Sie stören den Unterricht.“
„Welchen Unterricht? Erzähl doch den Foliengrillern deine Jesusgeschichten und lass uns hier in Ruhe unsere Geschäfte besprechen.“
„Können Sie mich hören? Versuchen Sie gleichmäßig zu atmen ein Rettungswagen ist unterwegs.“
Es klingelt. Er drückt den Summer und öffnet die Wohnungstür. Die Fußmatte steht in Flammen. Instinktiv tritt er das Feuer aus. Es riecht bestialisch. An seinem Schuh klebt Hundekot.
„Vielleicht ist der Schuldienst auch nicht das Richtige für Sie.“, überlegt der Superintendent. „In der Gemeindearbeit bleiben Sie von solchen Gestalten auf jeden Fall verschont. Die Konfirmanden sind noch nicht so abgebrüht, nicht einmal die ganz Frechen.“
„Aber Sie wissen doch, dass mir die ganze Verantwortung schnell zu viel wird. Darum bin ich ja in ein überschaubares Arbeitsfeld gewechselt.“
„I – A – Ananas, Edgar hat die Hosen nass!“, rufen die Mitschüler im Chor und er steht auf dem Schulhof und weiß nicht wohin mit seinen Blicken, seinen Händen und mit sich.
Er schreibt die wichtigsten Lebensdaten Luthers an die Tafel und spürt wie Papierkugeln in seinen Haaren landen. Er will es ignorieren, auch diese Stunde einfach nur überstehen. Sicher sieht er schon aus wie ein klassischer Salz-und-Pfeffer-Teppichboden.
Er hört seltsame Geräusche. Es piept unregelmäßig, da sind überall Leute. Er liegt und bewegt sich doch. Dann wird es dunkel.
Edgar Röthemeier liegt seit Tagen auf der Intensivstation. Aus dem Koma ist er immer noch nicht erwacht. Er brach nach einem langen Schultag auf dem Heimweg mitten auf der Straße zusammen. Er hatte einen Herzinfarkt erlitten. Die Kollegen reagierten bestürzt, manch einer wunderte sich nicht, er sah ja schon seit längerem reichlich mitgenommen aus.
Alex Strobach und Andres Evers hatten in den nächsten Wochen keinen Religionsunterricht, wie der Rest der Klasse übrigens auch. Statt dessen mussten sie sich mit einer zusätzlichen Stunde Englisch herumärgern, das schmeckte ihnen nicht. Sie wussten nicht, warum ihr Berufsschulpfarrer fehlte und es war ihnen auch egal. Sie verschwendeten nicht einen Gedanken daran, dass es etwas mit ihnen zu tun haben könnte. Sie wussten nicht, dass sie beobachtet worden waren.
Schon seit Tagen wundern sich Passanten unweit der Schule, wundern sich, aber lassen alles wie es ist.
Mitten auf der Verkehrsinsel steht ein einzelner Schuh.
Er hatte das Schulgebäude gerade verlassen und freute sich auf die Ruhe seines Arbeitszimmers, eine Tasse Cappuccino und das Short Bread, das seine Schwester ihm gebacken hatte, da standen sie plötzlich vor ihm. Er spürte wie sein Gesicht vor Unsicherheit zuckte, aber er bemühte sich, unbeugsam zu wirken. „Was gibt’s denn noch?“, fragte er ungeduldig, da machte der grinsende Alex einen Schritt auf ihn zu und drückte etwas Kaltes und Hartes gegen seine Kehle. „Und bist du kitzelig?“, fragte der renitente Schüler.
„Könnte lebensgefährlich werden, wenn man mit dem Messer gekitzelt wird.“, gab der dicke Andres zu bedenken.
„Du gibst mir doch keine Fünf oder Sechs in Religion, Pastor?“, fragte Alex, „Denn sonst müsste ich dich kräftig durchkitzeln.“
„Nein, natürlich nicht.“, erwiderte der Berufsschulpfarrer geistesgegenwärtig.
„Da verlass ich mich jetzt aber drauf.“, sagte Alex. „Ein Pastor darf ja nicht lügen.“
„Und wenn doch“, mischte der dicke Andres sich ein, „Wird er von Gott bestraft. Und Gott hat ein Messer. Also ab nach Hause mit dir. Und schön vorsichtig.“
Die Schüler verschwanden in Richtung Stadtmitte, sein Heimweg verlief in entgegengesetzter Richtung. Wie ferngesteuert setzte er einen Fuß vor den anderen. Nur ein Stück die Straße herunter, dann auf die andere Seite, einen Moment an der Bushaltestelle warten, fünf Minuten Busfahrt, noch einmal ein Stück die Straße herunter, links abbiegen und dann lag es da gleich um die Ecke, das schöne Stadthaus, in dem sich seine Wohnung befand, mit der Espressomaschine und der mit Ornamenten verzierten Keksdose.
Der Schmerz kam diesmal ganz plötzlich, nicht in pulsierenden Wellen wie sonst, sondern wie ein Fausthieb, gewaltig, reißend und atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes. Sein linker Arm brannte. Instinktiv fasste er sich an die Brust. „Ich muss es bis zum Bus schaffen“, dachte er, dann brach er zusammen.
„Was willst du Pastor? Ich habe hier mit meinen Kumpels was Dringendes zu besprechen, also misch dich nicht ein.“
„Sie stören den Unterricht.“
„Welchen Unterricht? Erzähl doch den Foliengrillern deine Jesusgeschichten und lass uns hier in Ruhe unsere Geschäfte besprechen.“
„Können Sie mich hören? Versuchen Sie gleichmäßig zu atmen ein Rettungswagen ist unterwegs.“
Es klingelt. Er drückt den Summer und öffnet die Wohnungstür. Die Fußmatte steht in Flammen. Instinktiv tritt er das Feuer aus. Es riecht bestialisch. An seinem Schuh klebt Hundekot.
„Vielleicht ist der Schuldienst auch nicht das Richtige für Sie.“, überlegt der Superintendent. „In der Gemeindearbeit bleiben Sie von solchen Gestalten auf jeden Fall verschont. Die Konfirmanden sind noch nicht so abgebrüht, nicht einmal die ganz Frechen.“
„Aber Sie wissen doch, dass mir die ganze Verantwortung schnell zu viel wird. Darum bin ich ja in ein überschaubares Arbeitsfeld gewechselt.“
„I – A – Ananas, Edgar hat die Hosen nass!“, rufen die Mitschüler im Chor und er steht auf dem Schulhof und weiß nicht wohin mit seinen Blicken, seinen Händen und mit sich.
Er schreibt die wichtigsten Lebensdaten Luthers an die Tafel und spürt wie Papierkugeln in seinen Haaren landen. Er will es ignorieren, auch diese Stunde einfach nur überstehen. Sicher sieht er schon aus wie ein klassischer Salz-und-Pfeffer-Teppichboden.
Er hört seltsame Geräusche. Es piept unregelmäßig, da sind überall Leute. Er liegt und bewegt sich doch. Dann wird es dunkel.
Edgar Röthemeier liegt seit Tagen auf der Intensivstation. Aus dem Koma ist er immer noch nicht erwacht. Er brach nach einem langen Schultag auf dem Heimweg mitten auf der Straße zusammen. Er hatte einen Herzinfarkt erlitten. Die Kollegen reagierten bestürzt, manch einer wunderte sich nicht, er sah ja schon seit längerem reichlich mitgenommen aus.
Alex Strobach und Andres Evers hatten in den nächsten Wochen keinen Religionsunterricht, wie der Rest der Klasse übrigens auch. Statt dessen mussten sie sich mit einer zusätzlichen Stunde Englisch herumärgern, das schmeckte ihnen nicht. Sie wussten nicht, warum ihr Berufsschulpfarrer fehlte und es war ihnen auch egal. Sie verschwendeten nicht einen Gedanken daran, dass es etwas mit ihnen zu tun haben könnte. Sie wussten nicht, dass sie beobachtet worden waren.
Schon seit Tagen wundern sich Passanten unweit der Schule, wundern sich, aber lassen alles wie es ist.
Mitten auf der Verkehrsinsel steht ein einzelner Schuh.
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