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Samstag, 18. Juni 2016
Zu späte Reue – abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 00:15h
Martin Beckmann war jemand, der immer da, wo es wirklich darauf ankam, überpünktlich war. Darum wunderte es seine engste Kollegin Johanna Husemann außerordentlich, dass er auch fünfzehn Minuten nach Beginn der Sitzung des kreissynodalen Finanzausschusses noch nicht anwesend war. Sicher stand er im Stau auf der Autobahn oder in der Gemeinde hatte ihn jemand aufgehalten, den er nicht abwimmeln konnte, was eher unwahrscheinlich war, weil er ein wahrer Meister darin war, lästigen Gemeindegliedern das Wort abzuschneiden und sich ihnen ohne nennenswerte Konsequenzen zu entziehen.
Er hatte das Zeug zum Superintendenten: Einen Blick für das Wesentliche, einen ausgeprägten Machtinstinkt, Wortgewandtheit, hinreichend profundes theologisches Fachwissen, um von seinen Kollegen respektiert und ernst genommen zu werden, ein selbstsicheres Auftreten und ein gewisses Fingerspitzengefühl für die Fallstricke diplomatischer Verwicklungen innerhalb des Kirchenkreises. Er konnte den richtigen Leuten nach dem Mund reden und mit den Unwichtigen hielt er sich einfach nicht auf.
Gerade heute ging es um die Erarbeitung eines Haushaltssanierungs-Konzeptes, innerhalb dessen die Personalkosten radikal reduziert würden: möglichst alle dem diakonischen Bereich zuzuordnenden Aufgaben (Kindertageseinrichtungen, Offene Jugendarbeit, Lebensberatung, Altentageseinrichtungen, Behindertenhilfe), die sich noch in kreiskirchlicher Trägerschaft befanden, sollten in die Diakonie ausgelagert werden, die nicht verpflichtet war, derartig horrenden Gehälter zu zahlen und auch überwiegend von Menschen geleitet wurde, die es verstanden, einen Wohlfahrtsverband unter wirtschaftlichen Aspekten erfolgreich in die Zukunft zu führen. Dass die Besoldung seiner Berufsgruppe - mit den mit Abstand höchsten Personalkosten - hauptursächlich für den bevorstehenden finanziellen Ruin der Evangelischen Kirche war, ignorierte er geflissentlich. Er sprach und agierte wie ein Top-Manager – und er predigte wie ein Fernsehmoderator, gab gefällige Standard-Worthülsen von sich, die auf den ersten Blick mutig, engagiert und kritisch daherkamen, aber wundersam den allgemeinen Durst nach ein bisschen Rebellion und Gegen-den-Strom-Schwimmen stillte, ohne wirklich anzuecken oder gar etwas zu riskieren.
Sein Sohn fand ihn auf dem Fußboden seines Arbeitszimmers. Neben seinem eingedrückten Schädel lag ein überdimensionales, schlichtes Granitkreuz, das sonst immer auf seinem Schreibtisch stand. Die Pathologen stellten später fest, dass zwischen dem Erleiden des Schädel-Hirn-Traumas und dem Eintritt des Todes ein bis zwei Stunden lagen. In diesem Zeitfenster, als also die Durchblutung des Körpers noch einwandfrei funktionierte, war nicht nur massenhaft Blut aus seiner Kopfwunde in den hellen Teppich gesickert, es waren auch furchtbare Hämatome im Genitalbereich entstanden, ausgelöst vermutlich durch brutale Tritte.
Nach umfassenden Zeugenbefragungen gelangte die Kriminalpolizei zu der Schlussfolgerung, der oder die Täter hätten unter großer emotionaler Anspannung gestanden, seien voller Hass auf das Opfer gewesen, der sich schließlich im Einschlagen des Schädels und im Eintreten auf das bereits am Boden liegende Opfer entladen hatte.
Beckmann hatte viele Feinde, und es lag auf der Hand, dass die Person, die diese Gewalttat verübt hatte, im beruflichen Umfeld des Opfers zu finden war. So saß eine Woche nach dem tödlichen Anschlag Annette Zöllner-Baltruweit im Verhörzimmer und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann sie einknicken und das Tötungsdelikt gestehen würde.
„Fangen wir noch einmal von vorne an“, stöhnte der leitende Ermittler Stefan Keller. „Sie wollten als Leiterin der KiTa Rosengarten im Anstellungsbereich der Kirchengemeinde bleiben oder zumindest direkt beim Kirchkreis beschäftigt werden.“
„Ja das ist richtig.“, antwortete die blasse Sozialpädagogin, „und ich wusste auch, dass Pfarrer Beckmann uns alle in die Diakonie schieben wollte und dass nicht nur er das wollte. Aber das ist doch kein Grund, jemanden zu töten.“
„Wie sind Sie ins Haus gekommen?“
„Ich war es nicht.“
„Aber Sie waren im Haus.“
„Ja. Aber als ich in sein Arbeitszimmer kam, lag er bereits da.“
„Und warum haben Sie keinen Krankenwagen verständigt?“
„Weil es offensichtlich war, dass er nicht mehr lebte. Das Blut fing an zu trocknen, er atmete nicht, seine Augen waren starr.“
„So genau haben Sie ihn sich angesehen?“
„Ja, ich wollte ihm ja zuerst helfen, aber als ich gesehen habe, was passiert ist, hatte ich Angst, direkt in Verdacht zu geraten.“
„Warum? Ich denke, Sie halten es für absurd, wegen eines Trägerwechsels zu morden.“
„Das ist ja auch absurd. Aber es gibt ja auch noch andere Gründe, die man haben könnte.“
„Und der wäre in Ihrem Fall?“
„Er hat mit mir Schluss gemacht.“
„Sie hatten eine Affäre?“
„Allerdings.“
„Seit wann?“
„Seit zweieinhalb Jahren.“
„Wie hat er Schluss gemacht?“
„Er hat mich zum Essen eingeladen, wurde auf einmal sehr ernst und erklärte, dass er sich als künftiger Superintendent keine Fehler erlauben dürfe. Einem Gemeindepfarrer würde man so ein kleines Techtelmechtel mit der Kita-Leitung noch nachsehen, einem Superintendenten aber nicht. Ein kleines Techtelmechtel nannte er das. Sie hätten ihn mal hören sollen als es mit uns anfing: Schwüre und Rezitationen wie in der altpersischen Liebeslyrik. Und jetzt das. Ich kam mir vor wie ein ausgedientes Kleidungsstück.
„Und da wollten Sie ihn noch einmal zur Rede stellen?“
„Nein, ich war da wegen einer Unterschrift, nichts weiter.“
„Aber wie kamen Sie hinein?“
„Ich hatte noch einen Hausschlüssel. Den wollte ich ihm bei der Gelegenheit ebenfalls zurückgeben.“
„Hatten Sie keine Angst, seiner Ehefrau zu begegnen?“
„Nein, die war kurz vorher aus dem Haus gegangen, das hatte ich gesehen. Sie hatte ihre Schwimmtasche dabei, sie geht regelmäßig ins Hallenbad.“
Hier wurde Keller stutzig. Hatte er doch den Hinweis aus dem örtlichen Spaßbad erhalten, man habe im Mülleimer ein mit Blut bespritztes Kleid entdeckt. Er las die Details noch einmal nach: Leinen-Baumwoll-Gewebe, Hellrot, etwa Knielang und mit Dreiviertelarm, Größe 38. Er sah sich die Sozialpädagogin an. Sie machte nicht den Eindruck, dass sie in Größe 38 hineinpasste, auch nicht dass sie knielange Leinen-Kleider trug.
„Wissen Sie wo Frau Beckmann regelmäßig Schwimmen geht?“
„Im Ishara, glaube ich.“
Keller griff zum Telefon und kontaktierte seine Kollegin. „Kerkenbrock, können Sie sich für einen Außeneinsatz bereit machen?“
„Ja, sofort.“, antwortete die. „Warum? Was gibt’s Neues?“
„Ich denke wir müssen Frau Beckmann ins Präsidium holen.“
Er hatte das Zeug zum Superintendenten: Einen Blick für das Wesentliche, einen ausgeprägten Machtinstinkt, Wortgewandtheit, hinreichend profundes theologisches Fachwissen, um von seinen Kollegen respektiert und ernst genommen zu werden, ein selbstsicheres Auftreten und ein gewisses Fingerspitzengefühl für die Fallstricke diplomatischer Verwicklungen innerhalb des Kirchenkreises. Er konnte den richtigen Leuten nach dem Mund reden und mit den Unwichtigen hielt er sich einfach nicht auf.
Gerade heute ging es um die Erarbeitung eines Haushaltssanierungs-Konzeptes, innerhalb dessen die Personalkosten radikal reduziert würden: möglichst alle dem diakonischen Bereich zuzuordnenden Aufgaben (Kindertageseinrichtungen, Offene Jugendarbeit, Lebensberatung, Altentageseinrichtungen, Behindertenhilfe), die sich noch in kreiskirchlicher Trägerschaft befanden, sollten in die Diakonie ausgelagert werden, die nicht verpflichtet war, derartig horrenden Gehälter zu zahlen und auch überwiegend von Menschen geleitet wurde, die es verstanden, einen Wohlfahrtsverband unter wirtschaftlichen Aspekten erfolgreich in die Zukunft zu führen. Dass die Besoldung seiner Berufsgruppe - mit den mit Abstand höchsten Personalkosten - hauptursächlich für den bevorstehenden finanziellen Ruin der Evangelischen Kirche war, ignorierte er geflissentlich. Er sprach und agierte wie ein Top-Manager – und er predigte wie ein Fernsehmoderator, gab gefällige Standard-Worthülsen von sich, die auf den ersten Blick mutig, engagiert und kritisch daherkamen, aber wundersam den allgemeinen Durst nach ein bisschen Rebellion und Gegen-den-Strom-Schwimmen stillte, ohne wirklich anzuecken oder gar etwas zu riskieren.
Sein Sohn fand ihn auf dem Fußboden seines Arbeitszimmers. Neben seinem eingedrückten Schädel lag ein überdimensionales, schlichtes Granitkreuz, das sonst immer auf seinem Schreibtisch stand. Die Pathologen stellten später fest, dass zwischen dem Erleiden des Schädel-Hirn-Traumas und dem Eintritt des Todes ein bis zwei Stunden lagen. In diesem Zeitfenster, als also die Durchblutung des Körpers noch einwandfrei funktionierte, war nicht nur massenhaft Blut aus seiner Kopfwunde in den hellen Teppich gesickert, es waren auch furchtbare Hämatome im Genitalbereich entstanden, ausgelöst vermutlich durch brutale Tritte.
Nach umfassenden Zeugenbefragungen gelangte die Kriminalpolizei zu der Schlussfolgerung, der oder die Täter hätten unter großer emotionaler Anspannung gestanden, seien voller Hass auf das Opfer gewesen, der sich schließlich im Einschlagen des Schädels und im Eintreten auf das bereits am Boden liegende Opfer entladen hatte.
Beckmann hatte viele Feinde, und es lag auf der Hand, dass die Person, die diese Gewalttat verübt hatte, im beruflichen Umfeld des Opfers zu finden war. So saß eine Woche nach dem tödlichen Anschlag Annette Zöllner-Baltruweit im Verhörzimmer und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann sie einknicken und das Tötungsdelikt gestehen würde.
„Fangen wir noch einmal von vorne an“, stöhnte der leitende Ermittler Stefan Keller. „Sie wollten als Leiterin der KiTa Rosengarten im Anstellungsbereich der Kirchengemeinde bleiben oder zumindest direkt beim Kirchkreis beschäftigt werden.“
„Ja das ist richtig.“, antwortete die blasse Sozialpädagogin, „und ich wusste auch, dass Pfarrer Beckmann uns alle in die Diakonie schieben wollte und dass nicht nur er das wollte. Aber das ist doch kein Grund, jemanden zu töten.“
„Wie sind Sie ins Haus gekommen?“
„Ich war es nicht.“
„Aber Sie waren im Haus.“
„Ja. Aber als ich in sein Arbeitszimmer kam, lag er bereits da.“
„Und warum haben Sie keinen Krankenwagen verständigt?“
„Weil es offensichtlich war, dass er nicht mehr lebte. Das Blut fing an zu trocknen, er atmete nicht, seine Augen waren starr.“
„So genau haben Sie ihn sich angesehen?“
„Ja, ich wollte ihm ja zuerst helfen, aber als ich gesehen habe, was passiert ist, hatte ich Angst, direkt in Verdacht zu geraten.“
„Warum? Ich denke, Sie halten es für absurd, wegen eines Trägerwechsels zu morden.“
„Das ist ja auch absurd. Aber es gibt ja auch noch andere Gründe, die man haben könnte.“
„Und der wäre in Ihrem Fall?“
„Er hat mit mir Schluss gemacht.“
„Sie hatten eine Affäre?“
„Allerdings.“
„Seit wann?“
„Seit zweieinhalb Jahren.“
„Wie hat er Schluss gemacht?“
„Er hat mich zum Essen eingeladen, wurde auf einmal sehr ernst und erklärte, dass er sich als künftiger Superintendent keine Fehler erlauben dürfe. Einem Gemeindepfarrer würde man so ein kleines Techtelmechtel mit der Kita-Leitung noch nachsehen, einem Superintendenten aber nicht. Ein kleines Techtelmechtel nannte er das. Sie hätten ihn mal hören sollen als es mit uns anfing: Schwüre und Rezitationen wie in der altpersischen Liebeslyrik. Und jetzt das. Ich kam mir vor wie ein ausgedientes Kleidungsstück.
„Und da wollten Sie ihn noch einmal zur Rede stellen?“
„Nein, ich war da wegen einer Unterschrift, nichts weiter.“
„Aber wie kamen Sie hinein?“
„Ich hatte noch einen Hausschlüssel. Den wollte ich ihm bei der Gelegenheit ebenfalls zurückgeben.“
„Hatten Sie keine Angst, seiner Ehefrau zu begegnen?“
„Nein, die war kurz vorher aus dem Haus gegangen, das hatte ich gesehen. Sie hatte ihre Schwimmtasche dabei, sie geht regelmäßig ins Hallenbad.“
Hier wurde Keller stutzig. Hatte er doch den Hinweis aus dem örtlichen Spaßbad erhalten, man habe im Mülleimer ein mit Blut bespritztes Kleid entdeckt. Er las die Details noch einmal nach: Leinen-Baumwoll-Gewebe, Hellrot, etwa Knielang und mit Dreiviertelarm, Größe 38. Er sah sich die Sozialpädagogin an. Sie machte nicht den Eindruck, dass sie in Größe 38 hineinpasste, auch nicht dass sie knielange Leinen-Kleider trug.
„Wissen Sie wo Frau Beckmann regelmäßig Schwimmen geht?“
„Im Ishara, glaube ich.“
Keller griff zum Telefon und kontaktierte seine Kollegin. „Kerkenbrock, können Sie sich für einen Außeneinsatz bereit machen?“
„Ja, sofort.“, antwortete die. „Warum? Was gibt’s Neues?“
„Ich denke wir müssen Frau Beckmann ins Präsidium holen.“
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