Freitag, 3. Juni 2016
Ein Pfarrer verschwindet – Kurzkrimi in vier Teilen – Teil II
Da die muntere Runde nichts Zielführendes beizusteuern hatte, wanderten die Kommissare in die Jugendetage, wo zwei schüchterne Schülerinnen eine Jungschargruppe vorbereiteten. „Ich habe ihn letzte Woche Mittwoch abends am Obersee getroffen, da wirkte er irgendwie abwesend.“, erklärte eines der Mädchen.
„So als hätte er etwas Schlimmes erlebt?“, erkundigte sich Kerkenbrock.
„Nein, mehr so, als würde er über etwas nachdenken und gar nicht merken, was um ihn herum passiert. Er sah auch eher fröhlich als verschreckt aus.“
Sie suchten den Kirchmeister auf, denn im Gemeindehaus würde in den kommenden Stunden niemand anrücken, mit dem zu reden sich lohnen könnte.
Der Kirchmeister war ein seit sechs Monaten in den Ruhestand versetzter, ehemaliger Industriekaufmann, der aber bereits seit einer Legislaturperiode die Finanzen der Gemeinde verwaltete und vor kurzem wieder gewählt worden war. Gastfreundlich wie kirchliche Menschen meistens sind, bot er den Beamten Kaffee und Gebäck an und nahm mit ihnen im Wohnzimmer Platz.
„Gibt es aus Ihrer Sicht irgendwelche Vorkommnisse oder Auffälligkeiten, die ein Verschwinden Ihres Pfarrers erklären könnten?“, fragte Keller den Presbyter.
„Ich glaube, da kann ich Ihnen leider nicht weiter helfen. Ich kann mir selbst nicht erklären, wie jemand einfach so spurlos verschwinden kann. Dienstag Morgen hat meine Frau ihn noch beim Brötchen holen getroffen und er machte einen ungewöhnlich fröhlichen Eindruck auf sie. Am frühen Abend hatten wir dann eine Besprechung angesetzt, zu der er nicht erschien und ich dachte, er habe es einfach vergessen, aber dann hörte ich, dass er am Nachmittag auch die Konfirmandengruppe versetzt hatte. Ich habe bei ihm zu Hause angerufen, um zu fragen, was los sei und seine Frau fiel aus allen Wolken, weil sie überzeugt war, er sei dienstlich unterwegs. Sie hat dann sofort die Polizei verständigt, aber da hat man ihr ja mitgeteilt, dass vor Ablauf von 24 Stunden ohne besonderen Grund niemand nach einem Erwachsenen suche. Sie ist wohl selbst überall herum gefahren, nachdem sie stundenlang telefoniert hat, aber alles ohne Erfolg und ohne jegliche Spur von ihrem Mann. Na ja, und Mittwoch Nachmittag waren Sie dann ja bei ihr. Also wir sind alle ganz verzweifelt.“
„Seine Frau hatte vielleicht weniger Ahnung von seinen Geschäften als Sie als Kirchmeister. Als Pfarrer wird man doch sicher nicht von allen geliebt, da macht man sich doch auch mal Feinde. Gerade in Zeiten knapper Finanzmittel gibt es doch jede Menge Konflikte. Hat er sich mit irgendwem angelegt?“
„Nein, so einer war er nicht. Wenn er sich überhaupt Feinde gemacht hat, dann eher dadurch, dass er den Konflikten aus dem Weg gegangen ist. Ich glaube, er ist Pfarrer geworden, weil er es nur noch mit den Guten zu tun haben wollte. Als er dann feststellen musste, dass es in der Kirche auch gelegentlich sehr böse Menschen gibt, hat er einfach die Augen davor verschlossen. Er war ein Träumer und manchmal hat ihm das jemand übel genommen, weil Missstände einfach nicht angegangen wurden.“
„Wer zum Beispiel?“
„Zum Beispiel der Elternrat im Kindergarten. Es gab da wohl eine Mitarbeiterin, die bei den Kindern sehr beliebt war, aber vom gesamten Team gemobbt wurde. Die Leitung bekam das auch nicht in den Griff. Am Ende hat die Mitarbeiterin gekündigt und musste sich in psychologische Behandlung begeben. Das KiTa-Team gilt nach wie vor als äußerst stutenbissig, wenn ich das mal so sagen darf – das muss natürlich unter uns bleiben - und er als Dienststellenleiter müsste da eigentlich Maßnahmen ergreifen, also die Verursacherinnen ermitteln und abmahnen, Teambildungs-Maßnahmen anordnen, seelsorgerliche Gespräche mit Betroffenen führen. Aber er wischte die Probleme beiseite, sagte, das werde alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht würde und renke sich schon wieder ein. Er ging lieber einmal die Woche dort hin, hielt seine Andacht für die Kinder, repräsentierte die Gemeinde bei Festen und betonte im Presbyterium immer wieder, dass er sich als Vorgesetzter hinter seine Mitarbeiterinnen stellen müsse.“
„Wie kommt er mit der Leiterin aus?“, fragte Kerkenbrock.
„Die haben ein gutes Verhältnis. Er ist auf ihrer Seite und sie weiß das zu schätzen.“
„Halten Sie es für vorstellbar, dass Pfarrer Sornig eine Liebesaffäre zu der Kindergartenleiterin oder einer anderen Frau unterhält?“
Der Kirchmeister blickte konsterniert drein. „Wie kommen Sie denn darauf?“, fragte er.
„Uns sind da Gerüchte zu Ohren gekommen.“
„Ja, so etwas denken die Leute sich gern aus. Es passiert ja auch nicht viel in unserem kleinen, verschlafenen Stadtteil, außer dass im Ghetto nebenan zwei Betrunkene sich gegenseitig verprügeln. Ich denke, Pastor Sornig ist nicht der Typ für so etwas. Meine Hand für ihn ins Feuer legen kann ich natürlich nicht, aber ich denke, da hat irgendjemand eins und eins zusammengezählt und vier herausbekommen.“
„Tja, dann vielen Dank erst einmal. Wären Sie vielleicht so nett, Ihre Finanzen noch einmal gründlich zu prüfen, ob es da irgendwelche Unregelmäßigkeiten gibt?“
„Gäbe es da irgendwelche Unregelmäßigkeiten, wüsste ich es längst, da muss ich nichts prüfen. Pastor Sornig hat so gut wie keinen Zugriff auf die Finanzen, falls sie erwägen, er könne mit der Kollekte durchgebrannt sein.“
FORTSETUNG FOLGT MORGEN.

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