Freitag, 8. Juli 2022
Vier Käse - Teil IV - Der Mascarpone
Gianluigi stürmte keuchend ins Esszimmer.
"Was hast du Aufregendes auf dem Abtritt erlebt, dass du so außer Atem bist?", fragte Luca schmunzelnd. Dann sah er das Blut, das von der Hand des Heranwachsenden tropfte.
Luca sprang auf. "Was hast du gemacht?", rief er.
"Frag mich lieber, was Veronica gemacht hat.", blaffte Gianluigi ihn an. "Sie ist mit der Schere auf mich los. Sie wollte mich abstechen."
Angelina rannte in den Flur und rief ihre große Schwester. Sie entdeckte sie zusammengesunken im Badezimmer. Neben ihr lag eine Haarschere, an der eine kleine Menge Blut klebte. Sie schluchzte, bis sie schließlich hervorstieß: "Ich hätte das viel eher erledigen sollen, als er sich noch nicht wehren konnte."
"Wovon redest du?"
"Gianluigi, das kleine Scheusal. Dauert nicht mehr lange und er ist das große Monster, das schon immer in ihm steckte."
"Aber er ist unser kleiner Bruder. Ein Kind."
"Halbbruder.", korrigierte Veronica sie. "Erinnerst du dich an Luigi Speranza, den Freund, den ich hatte, als ich achtzehn war? Er war damals dreißig und sie hat ihn mir ausgespannt. Einfach so, weil sie es konnte."
"Wer hat ihn dir ausgespannt?"
"Mama. Seit ich dreizehn bin, hat sie jede Liebschaft verhindert. Wenn ich mich mal mit einem Jungen getroffen habe, hat sie einen Riesenaufstand gemacht, mir eingeredet, ich hätte die Seele einer Hure. Sie hat alles unterbunden, mich eingesperrt, die Eltern informiert und mit Anzeige gedroht. Mein Ruf war ihr immer wichtiger als mein Glück. Und dann, als ich achtzehn war und tun konnte, was ich wollte und einen Freund hatte, der alt genug war, dass ich zu ihm hätte ziehen können, da hat sie ihn mir ausgespannt. Sie war ja nur sieben Jahre älter als er und sah noch gut aus. Sie hat mir gedroht, dass ich das mit der Uni vergessen könnte, wenn ich Papa davon erzählen würde und sie hätte es geschafft, mir auch das zu versauen. Dann wurde sie schwanger und als Luigi sich rar machte, hat sie den Bastard Papa untergeschoben. Ich habe damals sofort gesehen, dass es Luigis Sohn war. Und dir ist doch auch schon oft aufgefallen, dass er weder Mama noch Papa ähnelt."
"Aber dafür kann doch Gianluigi nichts."
"Dafür nicht, aber für das mit Federico."
"Jetzt komme ich nicht mehr mit."
"Federico ist Mitarbeiter in meiner Abteilung. Über die Jahre sind wir uns immer näher gekommen und vor ein paar Wochen haben wir uns zum Eisessen verabredet. Gianluigi hat uns gesehen und Mama davon erzählt. Federico hat einen Sohn und mit dem geht Gianluigi in eine Klasse. Es war ihm wohl peinlich, dass der Vater seines Freundes mit seiner Schwester ausgeht und um zu verhindern, dass mehr daraus wird, hat er Federicos Sohn Geschichten über mich erzählt. Unfassbare Lügenmärchen, aber unterfüttert mit fingierten Beweisen. Ich weiß das nur, weil ich Federico, nachdem er sich plötzlich, scheinbar grundlos von mir fernhielt, zur Rede gestellt habe. Ich wollte endlich wissen, was schief gelaufen war. Dann hat er mir erzählt, dass mein Bruder, seinem Sohn Geschichten über mich erzählt hat, die ihm Angst machten. Er hätte sich zuerst geweigert, das zu glauben, aber Gianluigi habe gleich die Beweise mitgeliefert. Er hatte Fotos auf dem Telefonino, die kann der Bastard nur von Mama bekommen haben. Dazu Fotos von alten Tagebuchseiten, die Mama mir damals weggenommen hat. Wenn man das geschickt zusammenmanipuliert, kommt da ein echtes Horrorbild raus. Ich habe Federico erklärt, dass ich das Opfer eines Komplotts bin, er hat gesagt, es tue ihm leid, aber das sei ihm alles zu kompliziert und auch wenn ich Recht hätte, so wäre es doch eine zu komplizierte Familie für eine tiefer gehende Beziehung. Eben stand ich hier vor dem Waschbecken und habe mir das Gesicht gewaschen, weil ich kotzen musste, von dem ganzen Dreck in dieser Familie und weil ich mich die ganze Zeit gefragt habe, ob ich langsam verrückt werde und ob ich unsere Mutter erdrosselt habe, ich hätte jeden erdenklichen Grund. Ich war es aber nicht. Jedenfalls hatte ich die Tür nicht abgeschlossen und Gianluigi wollte aufs Klo. Als er rein kam, fiel der Strom aus und dann fing er an mich zu peinigen. Wie es mir denn jetzt ginge, so als einsame Muttermörderin oder ob ich schon wieder jemanden gefunden hätte, den ich mir reinziehen könnte, lauter solches Zeugs. Ich habe versucht, drüber zu stehen, mich nicht provozieren zu lassen und nur so Sachen gesagt wie: Halt die Klappe! Oder werd erstmal erwachsen. Aber er hörte nicht auf, versuchte immer, in meine Nähe zu gelangen und ich bin ihm ausgewichen, dem kleinen Ekel. Dann ging plötzlich das Licht wieder an und ich blickte in sein irres Gesicht. Mit einem sadistischen Grinsen sagte er: 'Vielleicht sollte ich mal an dein Institut schreiben. Die wollen doch bestimmt auch keine Irre in ihrer Forschungsabteilung.' Und dann ist mir die Sicherung durchgebrannt. Die Haarschere lag auf der Ablage, ich habe danach gegriffen und mich auf ihn gestürzt. Irgendwo habe ich ihn getroffen und er ist schreiend weggerannt. Ist er sehr schwer verletzt?"
"Nur ein Kratzer.", sagte Angelina. "Komm mit nach unten. Der Mascarpone wartet. Es gibt Tiramisù. Verputzen wir es, bevor die Polizei kommt, damit wir nicht teilen müssen."

Ende

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