Mittwoch, 17. April 2019
Konzentrieren wir uns auf…
Keller gibt einen selbstanklagenden Seufzer von sich, als er seinen Wagen vor dem Kreiskirchenamt abstellt. Er hätte auch mit Bus und Bahn fahren können – oder mit dem Fahrrad. Es ist phantastisches Frühlingswetter und der Arzt ermahnt ihn immer wieder, sich mehr an der frischen Luft zu bewegen und seinen Kreislauf zwischendurch mal mit Sport in Schwung zu bringen, statt immer nur mit starkem Kaffee. Andererseits hat er keine Zeit, er muss einen Mörder finden – oder eine Mörderin.
Przbylla heißt der leitende Ansgestellte, der einen umfassenden Überblick über die Finanzen der einzelnen Kirchengemeinden hat. Warum müssen Verwaltungsfachkräfte immer so unaussprechliche Familiennamen haben? Die Frauen dann am liebsten noch im Doppelpack, McDonald-Stuckenbrinker oder Scymczak-Diesterhöft gehören zu den Top-Ten seiner Begegnung mit unfassbaren Doppelnamen.
Der Herr Przylla ist ein freundlicher und offensichtlich kompetenter Mitarbeiter und kann Keller genauestens über die Finanzangelegentheiten der Neustädter Gemeinde informieren.
„Das mit der Kirche ist tatsächlich ein Problem.“, erklärt der Verwaltungsfachangestellte. „Die Kirchensteuermittel, die der Gemeinde zur Verfügung stehen, fließen zum überwiegenden Teil in das Gebäude. Der Rest geht nahezu drauf für die notwendigen Pfarrstellen. Es bleibt kaum etwas übrig für weitere Personalkosten.“
„Warum verkaufen oder vermieten sie das Objekt nicht einfach und ziehen in ein weniger kostenintensives Domizil?“
„Wer soll denn so eine riesige Kirche kaufen?“
„Restaurantketten? Diskothekenbetreiber? Kunstliebhaber?“
„Ja, da haben Sie natürlich Recht, für ein Restaurant gibt es ja schon ein Beispiel. Aber so einfach ist das nicht. Man kann nicht mir nichts dir nichts eine Kirche verkaufen oder vermieten. Da muss zunächst auf höchster Ebene ein Beschluss gefasst werden, dass die Kirche entwidmet werden darf. Und das wird nicht einfach so durchgewunken. Und wo sollten sie auch hin, die Neustädter? Finden Sie in der City mal eine geeignete Alternative. Die haben die Immobilie an den Hacken und können nur beten, dass entweder das Land mehr in die Denkmalschutzförderung investiert oder dass die Landeskirche die Umlage für
solche Objekte erhöht, quasi ein Solidaritätsbeitrag aller Kirchengemeinden, um die mit denkmalgeschützter Bausubstanz zu entlasten. Das kann aber noch dauern und bis dahin müssen sie mit ihren knappen Mitteln klarkommen.“
„Und wie gelingt das?“
„Bisher – und das ist jetzt vertraulich, das haben Sie nicht von mir – konnten sie sich an den Töpfen der anderen Gemeinden bedienen. Herr Diekhoff, der Kirchmeister, ist Mitglied des KSV und auch des kreiskirchlichen Finanzausschusses. Unfassbar wieviel Macht einzelne Presbyter in den Händen halten. Er hatte zu einigen einflussreichen Leuten einen guten Draht und hat Hand in Hand mit meinem Vorgänger gearbeitet. Sie haben fleißig umverteilt und einzelne Gemeinden um ihre Kirchensteuerzuweisungen erleichtert. Das ist zwar nicht als Betrug oder Veruntreuung gewertet worden, musste aber, nachdem es rauskam, korrigiert werden. Und jetzt steht die Gemeinde quasi nackt da. Sie mussten die Stundenkontingente für Küster, Kirchenmusik und Jugendarbeit reduzieren mit dem Erfolg, dass alle drei gekündigt haben, weil sie keine Lust hatten, Kontingente in anderen Gemeinden zu übernehmen. Jetzt haben sie ihre Mini-Jobs mit lauter auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbaren Leuten besetzt und stöhnen unter der Last des allgemeinen Chaos. Wären sie von Anfang an ehrlich mit ihrer prekären Finanzlage umgegangen, hätte man sie ganz anders unterstützen können.“
„Haben Sie eine Ahnung, warum der Kirchmeister Diekhoff bei der KSV-Sitzung gefehtl hat?“
„Er ist im Urlaub, sechs Wochen Australien.“

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Dienstag, 16. April 2019
Es könnte aber auch…
„Es könnte aber auch ein als islamistischer Terroranschlag getarnter Angriff von rechts sein.“, meint Sonja.
„Meinst du?“, fragt Keller. „Ich denke eigentlich, so perfide sind die nicht, die haben zu wenig helle Köpfe in ihren Reihen. Um so viele Ecken zu denken, gelingt den Allerwenigsten.“
„Wenn du sie da mal nicht unterschätzt.“, erwidert Sonja. „Immerhin haben sie es in den Vierzigerjahren geschafft, sechs Millionen Juden zu vernichten und unglaublich vielen Leuten vorzugaukeln, sie seien rechtschaffen und anständig. Wenn das nicht perfide war.“
„Du meinst also, die opfern ein paar evangelische Christen, die sowieso nicht auf ihrer Seite sind, schieben es den Islamisten in die Schuhe und haben gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen?“
„Genau. Und für so einen Plan muss man noch nicht einmal besonders intelligent sein. Ein wenig Bauernschläue reicht vollkommen aus.“
„Aber es gibt überhaupt keine Anhaltspunkte für rechte Hintermänner. Wir haben nur die Aussage einer Verrückten, die ein paar bärtige, dunkle, fremdländisch sprechende Männer mit Kopfbedeckung gesehen haben will.“
„Also eigentlich auch keine Veranlassung nach islamistischen Terroristen zu fahnden.“
„Nee, nicht wirklich, aber ich würde es ungern ausschließen, ebensowenig wie die Nazis, die sind ja schon öfter mit der perversen Nummer durchgekommen und unsere Kollegen hatten die Schwarzköpfe im Visier, Beispiel NSU.“
„Eben.“
„Kannst du da ein bisschen stöbern?“
„Ich weiß nicht wo ich anfangen sollte, aber ich kann die Information weiter geben, dass hier ein weiterer Verdachtsfall vorliegt. Vielleicht gibt es ja einen Zufallstreffer.“
„Danke, Sonja.“
„Immer gern. Und in welche Richtung ermittelst du jetzt weiter?“
„Der Kirchmeister aus der Neustadt hat gefehlt.“, erklärt Keller. „Die haben eine denkmalgeschützte Kirche, die Unsummen ihres Gemeindetats verschlingt. Ich werde mal der Finanzverwaltung auf den Zahn fühlen.“

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Montag, 15. April 2019
Es ist nicht ausgeschlossen, dass...
Sieglinde Lomax wurde tatsächlich im Inneren einer großen Kirche gefunden, schlotternd vor Angst in einer dunklen Ecke hinter dem Altar. Sie sprach die ganze Zeit von Teufeln die hinter ihr her seien, sie war nur 400 Meter vom Tatort entfernt, der Zusammenhang lag nahe.
Aber sie trug die Kleidung, mit der sie sich aus der Einrichtung entfernt hatte, wies keinerlei Blutspuren auf und hatte auch nichts bei sich, was als Tatwaffe geeignet gewesen wäre. Doch sie schrie immer wieder, dass sie die schwarzen Teufel gesehen hätte, mit den krausen Haaren am Kinn und den Tüchern auf dem Kopf, die ihre Hörner verbergen sollten. Und sie hätten Worte der schwarzen Magie gesprochen, die sie hier nicht aussprechen könnte und sie wären voller Blut gewesen, ganz voller Blut.

Waren das nur ihre Wahnvorstellungen oder hatte sie tatsächlich den oder die Täter beim Verlassen des Kreiskirchenamtes beobachtet? Männer mit schwarzen, krausen Bärten und Tüchern auf dem Kopf die in einer fremden Sprache bekannte Worte von sich gaben?
Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein islamistischer Terroranschlag vorliegt. Auch wenn es kein Bekennerschreiben gibt, jedenfalls noch nicht. Aber eine Gruppe Christen, die auch noch als Funktionsträger tätig sind, in ihrem eigenen Kreiskirchenamt niederstrecken, das könnte denen durchaus einfallen. Keller ruft Sonja beim K4 an, vielleicht hat die eine Idee.

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Sonntag, 14. April 2019
Oder auch wegen…
Der Gemeindepädagoge scheint nicht zu begreifen, dass er verdächtig ist. Er bleibt seltsam gelassen, als er erklärt: „Davon dass sich diese Entscheidung um ein paar Monate verschiebt habe ich gar nichts. Im schlimmsten Fall zieht die Stiftung sich zurück und es wird nach anderen Zweitjobs für mich gesucht. Das es einfach so weiterläuft wie bisher ist ausgeschlossen.“
Das Motiv ist zeplatzt – wenn er denn Recht hat. Tatsächlich hat er aber bis zum Auffinden der Toten ein Alibi, er hat ein Gespräch mit dem Verwaltungsleiter und seiner Stellvertreterin geführt, die ebenfalls noch im Haus gewesen sind.
Keller erhält eine Kurznachricht auf seinem Mobiltelefon. „Frau mit schweren Wahnvorstellungen aus geschlossener Psychiatrie verschwunden.“
Die unbekannte Irre also. Die Großfahndung läuft bereits. Bis sie sie haben, kann er ja noch nach ein paar Hinweisen graben.

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