Freitag, 20. Oktober 2023
Spoiler 1 - nichts für Kinder!
Liebe, wenige Lesende,
im Moment klappt es mit den Kurzkrimis nicht so, dafür gibt es in der nächsten Zeit häppchenweise aus der "Recherche" für den nächsten Buchkrimi. Was davon am Ende tatsächlich in der Endfassung landet, ist noch nicht klar. Hier nun also das erste Häppchen:

1955

Es war ein harter Tag gewesen; einer von denen, an denen man sich nur noch den Bauch vollschlagen wollte, sich in der Stube ein Bier, einen Wachholder und eine Zigarre genehmigen und dann ins Bett fallen wollte. Fritz fühlte sich an diesem Abend um zwanzig Jahre gealtert, doch nach der ersten Runde des Schlafs der Gerechten zwischen den gestärkten Laken spürte er wieder, dass er erst 35 Jahre alt war. Er hatte wieder vom Krieg geträumt, wie das Geschoss in seine Schulter geschlagen war und dann die wochenlangen Schmerzen, das Stöhnen der Sterbenden im Lazarett, das Gewimmer der Verstümmelten. Am Ende war ihm das alles nur noch auf die Nerven gegangen, für Mitgefühl war da kein Platz mehr gewesen.
Er spürte noch den Schmerz in der Schulter, doch auch, wie seine Männlichkeit sich regte, und Lisbeth lag da, entspannt auf dem Rücken und verströmte den Geruch von Nachtschweiß und Kernseife.
Er wandte sich ihr zu und seine Hand suchte ihre Brüste, doch sie schob die Hand brüsk hinweg und drehte ihm den Rücken zu. Nun machte er sich daran, ihr Nachthemd hochzuschieben. Sie wehrte sich und maulte: "Lass mich zufrieden, ich will schlafen!"
Er wusste, wenn er durchaus darauf bestand, würde sie es ihn die ganze kommende Woche spüren lassen: Fünf Tage lang Schnippelbohnensuppe, Kaffee wie Abwaschwasser und keinen Kuchen, dazu Gemecker und Gekeife von morgens bis abends.
Er hätte selbst Hand an sich legen können, aber mein Gott, er war doch kein Halbstarker mehr. Was waren das noch für Zeiten gewesen, als man sich als Bauer noch eine Magd leisten konnte, über die man bei Bedarf rüber rutschen konnte. Er schälte sich aus dem Bett, um sich mit einem weiteren Bier zu beruhigen. Einen Bademantel besaß er nicht, aber in der Stube lag eine Wolldecke, die er sich um die Schultern hängte, bevor er in den kalten Keller stieg. Er drehte dreimal an dem schwarzen Bakelit-Lichtschalter, bis es endlich hell wurde. Der Elektriker musste mal wieder vorbei kommen und das in Ordnung bringen.
Verdammt! Im Keller hatte sich mal wieder Wasser gesammelt. Mit den Wollpuschen konnte er da nicht hindurchwaten. Er ging die Treppe wieder hinauf und schlurfte in die Viehküche, wo seine Holzpantinen standen. Mit denen kehrte er in den nassen Keller zurück, doch als er zur Bierkiste gelangte, fand er nur noch leere Flaschen.
"Verdammtes Drecksweib!", fluchte er. "Zu faul, um Bescheid zu sagen, dass das Bier alle ist!"
Wütend stapfte er wieder nach oben, löschte das Lichte, tauschte die Pantinen gegen die Puschen und goss sich einen kräftigen Schluck Wachholder in eine Kaffeetasse. Warm und wohltuend rann der Schnaps durch seine Kehle und schien sich augenblicklich im gesamten Körper zu verteilen. Seine Sehnsucht nach weiblicher Sinnlichkeit vertrieb der Wachholder hingegen nicht, ganz im Gegenteil.

Er verfolgte keinen bestimmten Plan, dachte nicht nach, ging einfach in die Kammer des Mädchens. er beugte sich über die Kleine. Sie roch so gut. Er schlug die Decke zurück und hob sie vorsichtig hoch, um sie nah an der Wand wieder abzulegen. Dann legte er sich neben sie und deckte beide wieder zu. Ihre Wärme tat gut.
Er benutzte ihre Hand. Danach fühlte er sich irgendwie schäbig, aber er wischte das Gefühl beiseite. Er schlüpfte zurück in die Hose, stieg in die Puschen und schlich wieder in sein eigenes Bett, in dem er neben seiner leise schnarchenden Frau friedlich einschlummerte.

Das Mädchen in der Kammer starrte mit großen Augen an die Decke und fragte sich, aus welchem Alptraum sie gerade erwacht war oder ob das Tier, das ihr so eklig in die Hand gespuckt hatte, in Wirklichkeit bei ihr gewesen war, denn da war etwas Schleimiges an ihrer Hand und es roch nach alten Pilzen.

Als Lisbeth am nächsten Morgen in die Kammer ihrer Tochter trat, um sie zu wecken, schnauzte sie: "Was liegt die Wolldecke hier an der Erde? Wenn du dir was zum Spielen holst, musst du es auch wieder wegräumen. Und jetzt aufstehen und danach in die Waschküche zum Frischmachen."
Ingrid war totmüde und konnte kaum die Augen öffnen.
"Ich habe mir keine Decke geholt."
"Ach", erwiderte die Mutter barsch, "wer soll denn sonst eine Decke hier her gebracht haben? Der Heilige Geist?"
"Das war ein Ungeheuer.", sagte Ingrid. "Es war heute Nacht hier und hat mir in die Hand gespuckt."
"Das hast du geträumt.", sagte die Mutter. "Steh auf und wasch dich. Das treibt dir die Flausen aus dem Kopf."
Sie schlug die Decke zurück und zog an Ingrids Händen, um das Aufstehen zu beschleunigen. Sie bemerkte angetrocknete, krustige Spuren an ihrer rechten Hand.
"Was ist das denn? Hast du dir etwa gestern Abend nicht die Hände gewaschen? Oder warst du zu faul, dir zum Naseputzen ein ein Taschentuch zu holen?"
"Nein. Das war das Tier."
"Welches Tier?
"Das Ungeheuer, das mir in die Hand gespuckt hat."
"Hör auf, mich anzulügen!", herrschte Lisbeth ihre Tochter empört an. "Wahrscheinlich hast du an dir rumgespielt und dein schlechtes Gewissen hat dir böse Träume beschert. Die meisten Sünden bestraft der liebe Gott sofort. Also bleib dabei weg, sowas tut man nicht. Davon kriegt man Krankheiten und schlechte Träume. Und jetzt steh auf und wasch dich!"
Ingrid gehorchte und schwieg, auch wenn sie nicht verstand, wovon ihre Mutter sprach.

Fortsetzung folgt.

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