Freitag, 10. Februar 2023
Vertuschung – ein Vierteiler – Teil 2
Pfarrerin Anke Liekenbrock sah sich das Interview, das in der Lokalzeit mit ihr geführt worden war nun zum fünften Mal in der Mediathek an. Triumph der Gerechten, dachte sie. Nun galt sie wohl als Nestbeschmutzerin, aber das war ihr egal, sie hatte nur noch zehn Jahre bis zum Ruhestand, die würde sie mit engagierter Gemeindearbeit herumkriegen. Wenigstens konnte sie, ohne Ekel zu empfinden, morgens in den Spiegel sehen. Und Silbernagel hatte sie mit seiner unsäglichen Drohung dazu getrieben. Sie hatte seine irreführend glatte Stimme noch in den Ohren: "Wenn Sie an die Öffentlichkeit gehen, Schwester Liekenbrock, dann schaden Sie nicht nur dem Kirchenkreis, sondern auch sich selbst. Die Kollegen werden sie schneiden und wenn Sie versuchen, sich in einem anderen Kirchenkreis zu bewerben, werden Sie kläglich scheitern. Niemand möchte eine Pfarrerin im Team haben, die öffentlich schmutzige Wäsche wäscht. Sie sollten sich das sehr gut überlegen."
"Sie bestätigen mich nur in meinem Vorhaben, Herr Silbernagel.", sie nannte ihn bewusst nicht Bruder oder Kollege, das fühlte sich absolut nicht richtig an. "Wenn die Kollegen mich künftig schneiden, halte ich mich eben an die Kolleginnen. Die sind ohnehin überwiegend auf meiner Seite und außerdem diejenigen, die ihre Arbeit ordentlich verrichten."
Dann hatte sie einfach aufgelegt.
Sie hatte den Superintendenten angerufen, weil sie sich die von ihm angeordnete Freistellung nicht gefallen lassen wollte. Sie hatte nichts Unrechtes getan, sich keinen Fehler zuschulden kommen lassen, im Gegenteil. Dann hatte sie nur den Assessor, den stellvertretenden Leiter des Kirchenkreises erreicht, der aber hundertprozentig mit dem Sup auf einer Linie war. Der Kirchenkreis war doch nicht das Politbüro, wo man unbequeme Verantwortungsträger einfach entfernte. Schon gar nicht, wenn diese sich an die nächsthöhere Ebene wandten, um einen Missstand anzuzeigen.
Von der Präses hatte sie in der Tat ein härteres Durchgreifen erwartet. Die hatte auch sehr entrüstet und betroffen auf Anke gewirkt und versprochen sich um die Ungeheuerlichkeit zu kümmern, aber dann hatte sie sich wohl vom Sup oder von Silbernagel einlullen lassen, die ihr bestimmt eröffnet hatten, Anke Liekenbrock leide an einer Zwangsstörung und steigere sich in Bagatellen hinein, neige zu verzerrter Wahrnehmung und man halte sie nur im Amt, weil der eklatante Pfarrermangel einen zwinge, nicht wählerisch zu sein. Jedenfalls hatte die oberste Landeskirchenleitung ebenfalls nicht gehandelt und kleinen Wichten auf der mittleren Ebene das Feld freimütig überlassen. Und dann hatte der Sup sie einfach freigestellt „bis zur endgültigen Klärung des Sachverhaltes", wie er sich ausdrückte.

Ihr Kollege Markus Ruddat, der ängstliche Speichellecker, hatte sie ebenfalls versucht, zu Untätigkeit zu überreden: "Wenn die Kirchenkreisleitung dir eine Anordnung schickt, musst du doch Folge leisten. Die werden ihre Gründe haben. Vielleicht haben sie weitergehende Informationen, über die du nicht verfügst."
"Papperlapapp!", hatte Anke geantwortet. "Wir sind diejenigen die an der Quelle der Informationen sitzen, was diesen Fall betrifft. Die Kirchenkreisleitung weiß nur, was wir ihr mitgeteilt haben. Oder hast du Beobachtungen weitergeleitet, die du mir vorenthältst?"
"Nein, natürlich nicht. Aber weißt du, ob Roswitha sich nicht in ungebührlicher Weise an den Sup gewandt hat?"
"Wohl kaum. Roswitha hat sich an mich gewandt und ich bin diejenige gewesen, die aktiv geworden ist. Sie hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Sie ist das Opfer, das geschützt werden muss."
Markus atmete tief ein und aus und verließ dann wortlos das Büro. Wie immer, wenn ihm nichts Kluges einfiel. Also meistens.

Fortsetzung folgt

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