Montag, 4. November 2019
Nie zweimal in diesselbe Scheiße
Im Licht des Deckenstrahlers wirkte B. H.s Gesicht noch wächserner als im Scheinwerferlicht oder war es teigig? Der Kommissar konnte sich nicht so ganz entscheiden, es war schon bleich wie Hefeteig, aber aufgedunsen war der Mann nicht, einfach nur farblos, genauso wie seine Gletschereis-blauen Augen. Wenn man geradewegs in die hineinsah, fing man sofort an zu frieren.
Die Hände hatte er betont entspannt im Schoß der übereinander geschlagenen Beine abgelegt. Sehr gepflegte Hände, blitzsauber manikürte Nägel, nein der Herr H. machte sich die Finger nicht schmutzig, das überließ er seinen haarlosen Ungeheuern. Aber zwei bekannte Politiker waren tot, und die Aggression war ohne Zweifel von rechts gekommen. Und B.H., der auf Ossi machte, obwohl er im Westen aufgewachsen war, wenn auch kein Österreicher, der auf Deutscher machte, hatte zumindest deutlich dazu beigetragen, den Hass zu schüren, der in diesen grausamen Bluttaten gipfelte.
„Herr H.“, begann der Kommissar das Verhör. „In Ihren Veröffentlichungen fordern Sie immer wieder die – ich zitiere: „Säuberung Deutschlands von kulturfremden Menschen.“ Sind diese beiden Todesfälle der Anfang?“
„Wenn Sie das so sehen.“, erwiderte B. H. „Ich habe allerdings nichts damit zu tun.“
„Nein, natürlich nicht. Die Tatsache, dass einer der beiden über einen Migrationshintergrund verfügte, ist vermutlich auch nur dem Zufall geschuldet, nicht wahr?“
„Entschuldigen Sie bitte, aber wenn in England plötzlich ein Pakistani einen wichtigen Ministerposten besetzen würde, käme es da auch zu Ausschreitungen. Man will sich doch in seinem eigenen Land nicht von einem Zugereisten sagen lassen, was man zu tun und zu lassen hat.“
„Aber die Menschen, die zu uns gekommen sind, sind doch jetzt da und gehören dazu, das sind doch keine Zugereisten.“
"Neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein groß angelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein."
„Ach, und das setzen Sie durch, indem Sie Migranten ins Nirvana schicken?“
„Nein, aber ich gebe zu, dass es wohl nur mit Gewalt zu schaffen ist. In der erhofften Wendephase stehen uns harte Zeiten bevor, denn umso länger ein Patient die drängende Operation verweigert, desto härter werden zwangsläufig die erforderlichen Schnitte werden, wenn sonst nichts mehr hilft."
„Ach, und die erhoffte Wendephase, das ist die absolute Mehrheit Ihrer Partei?“
B.H. zuckte mit den Schultern und lächelte süffisant. Dann sagte er: "Vor allem eine neue politische Führung wird dann schwere moralische Spannungen auszuhalten haben: Sie ist den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und muss aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen."
„Natürlich, die grundguten sauberen Deutschen müssen die Mittel heiligen, wenn sie dem Zweck der Volksgesundheit dienen wollen und dann kommen sie nicht drum herum, sich die Finger schmutzig zu machen, nicht wahr? Ein bisschen, Folter hier, ein bisschen Mord und Totschlag da, da bleibt kein Auge trocken, oder?“
„Man wird, so fürchte ich, nicht um eine Politik der wohltemperierten Grausamkeit herumkommen.“
„Wohltemperiert? Waterboarding bei angenehmen 37 Grad? Schlafentzug mit Katzenscheiße-Espresso? Todesschuss direkt zwischen die Augen? Glauben Sie tatsächlich, zur Erreichung Ihrer politischen Ziele solche Maßnahmen rechtfertigen zu können?“
„Existenzbedrohende Krisen erfordern außergewöhnliches Handeln. Die Verantwortung dafür tragen dann diejenigen, die die Notwendigkeit dieser Maßnahmen mit ihrer unsäglichen Politik herbeigeführt haben."
„Ach, das wird ja immer besser. Klingt verdächtig nach Minirock-Argument. Wir foltern und morden ja nur, weil man uns provoziert hat, oder was?“
„Ich halte es mit Hegel. 'Brandige Glieder könnten nicht mit Lavendelwasser kuriert werden.'.Die Regierung ist lediglich und allein der autochthonen Bevölkerung verpflichtet.“
„Der autochthonen Bevölkerung verpflichtet? Übersetzt also der ethnisch-deutschen?“
„Genau. Und dies müssen wir notfalls mit Grausamkeit durchsetzen. Ich stelle fest, dass wie leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind mitzumachen. Ich denke an einen Aderlass.“
„Und wie sieht das dann so ganz praktisch aus?“
„Diejenigen Deutschen, die unseren politischen Zielen nicht zustimmen, werden aus unserem Deutschland ausgeschlossen werden. Ich trete für die Reinigung Deutschlands ein. Mit starkem Besen sollten eine feste Hand und ein Zuchtmeister den Saustall ausmisten.“
„Und wenn Sie dann fertig sind mit Ausmisten, was kommt dann?“
„Dann geht es wieder aufwärts.“
„Aufwärts mit wem?“
„Mit denen, die dann da sind.“
„Wie viele werden das noch sein?“
„Das ist irrelevant. Entscheidend ist die Qualität, nicht die Quantität.“

Der Kommissar stellte angewidert fest, dass er es offensichtlich mit einem politisch gefährlichen Faschisten zu tun hatte, vollkommen geistesgestört, aber brandgefährlich, gerade weil er so wahnsinnig war, einer der voranmarschierte ohne Rücksicht auf Verluste, einer dem keine Entgleisung peinlich war, weil er seine Entgleisungen für einen Ausdruck der Stärke hielt.
Nur die Morde, die konnte er ihm ums Verrecken nicht nachweisen, obwohl er dafür verantwortlich war wie kaum ein anderer. Stattdessen riskierte er sein Leben, denn wenn die dumpfen Rassisten seines blöden Volkes diesem Faschisten zur Macht verhalfen, dann wäre sein Kopf einer der ersten die rollten. Aber darum war er Polizist geworden, damit die Verbrecher dort landeten, wo sie hingehörten und so lange er sein Amt ausübte würde er sich mit seiner ganzen Kraft dafür einsetzen.

Die Kollegin aus der IT-Abteilung trat überraschend ein. Sie fragte ganz unbefangen: „Kannst du mir mal eben beim Kaffeeautomaten helfen? Diese Teufelsmaschine verweigert mal wieder die Auslieferung.“
Irgendetwas in ihrem Gesicht passte nicht zu ihrem sorglosen Tonfall, das hielt ihn davon ab, sie anzufahren, was zum Teufel ihr einfiele, ihn mitten im Verhör mit solchen Kinkerlitzchen zu behelligen. Stattdessen stand er auf und erwiderte charmant: „Na, dann wollen wir dem streikenden Roboter mal seine Rechte vorlesen.“ Er folgte der Kollegin auf den Flur. Draußen hielt sie ihm wortlos ein Protokoll unter die Nase. Ein siegesgewisses Lächeln grub sich in seine Wangen. Endlich hatte er B.H. an den Eiern.

ENDE

... comment