Freitag, 25. Oktober 2019
Der dritte Mann
Leise fiel der sanfte Regen auf das glänzende Kopfsteinpflaster im historischen Kern der westfälischen Provinzkleinstadt. Das Wetter gab dem Spiel den besonderen Drive, sorgte für eine authentische Atmosphäre.

Hin und wieder huschte jemand um die Ecke, mal im Schein einer Straßenlaterne, mal im Schatten eines windschiefen Fachwerkgiebels. Sie befand sich auf dem Weg in den amerikansichen Sektor, eine Streicholzschachtel in der Tasche, die zehn Ampullen Insulin darstellte, und einen Ausweis, der unter gar keinen Umständen von der Polizei kontrolliert werden durfte, denn dann war nicht nur sie verloren, sondern auch das Spiel vorbei. Ihr Wohnort stand darin, Nonnengasse 12, sowjetischer Sektor, Wien, Hauptstadt der Republik Österreich. Und ihr Name: Harry Lime.

Sie hatte Berengar schon seit einer halben Stunde nicht mehr gesehen und sie wusste auch immer noch nicht, ob er ein heimlicher Abnehmer, ein unbescholtener Bürger oder ein verdeckt ermittelnder Polizist war. Zu ihrer Bande gehörte er jedenfalls nicht, die Insulinschmuggler hatten sich bereits sämtlichst gefunden. Ein Jammer, sie wäre gern mit ihm durch die verregneten Gassen gehuscht, hätte mit ihm Schutz vor dem stärker werdenden Regen gesucht, unter irgendeinem Vordach, im Schatten eines Baumes, wo man sich dicht aneinanderdrängen musste, damit man trocken blieb, so dass man den anderen riechen konnte, seinen Atem hören, vielleicht sogar seinen Herzschlag spüren konnte. Berengar, der ihr mit seinen unglaublichen Augen, seinen wilden Locken und seinen geschmeidigen Bewegungen schon lange das Herz genommen hatte. Die Schulungswoche war bald um, nur noch drei Nächte, dann würden sie sich 10 Tage lang nicht sehen – wenn nicht vorher etwas Entscheidendes passierte.

Vor der Apotheke stand Luise. Sie wirkte gelangweilt wie immer. Das war sicher keine Strategie. Vermutlich haderte sie gerade wieder mit ihrem Schicksal, eine Rolle zugelost bekommen zu haben, die sie zu Langeweile und Passivität verdammte. So wie sie da herumstand, ausgerechnet vor der Apotheke, war sie sicher keine Polizistin.
„Wohnst du hier?“
„Ja, hier ist mein Geschäft. Nur scheiße, dass es durchs Dach regnet.“
„Ja, die Reparatur ist teuer. Ich hätte da etwas, in das du investieren könntest. Ich habe es günstig abzugeben und du könntest es gewinnbringend verkaufen.“
„Wieviel?“
„Zweihundert für eine Packung.“
„Meinetwegen.“
Luise zog einen Schein aus dem Umschlag und das „Insulin“ wechselte die Besitzerin. Harry Lime eilte zurück zum Vorratslager; es gab noch eine Menge zu verticken.

In der Kleinstadt klappten die Bewohner pünktlich zur Tagesschau die Bürgersteige hoch, zumindest im Herbst, wenn es früh dunkel wurde. Es war unheimlich, so als herrsche Ausgangssperre und man tue etwas Verbotenes. Im sowjetischen Sektor des Spielgeländes war es noch dunkler und unübersichtlicher als im amerikanischen. Einen britischen und französischen hatte die Spielleitung eingespart, um die Angelegenheit nicht unnötig kompliziert zu machen. Sie hatte als Lager eine Spitzdachhütte auf dem Kinderspielplatz gewählt, der war besonders dunkel und die Streichhölzer lagen im Trockenen.

Sie betrat die Hütte, zog eine Schachtel aus der Papiertüte und wollte sich gerade wieder auf den Weg machen, als sie von hinten an den Schultern festgehalten wurde. Sie sah sich kurz um und erkannte im Restlicht Berengars Silhouette. Er umschloss ihre Taille mit seinen Armen und schmiegte seine Wange an ihre. Er roch nach Zigaretten. Hatte sich wohl von Adrian zum Rauchen anstiften lassen. Das würde sie ihm ganz schnell wieder austreiben. Er küsste ihr Ohr. Sie kicherte vor Verlegenheit und vor Erregung.
„Kau mir nicht das Ohr ab, du unbescholtener Bürger.“ raunte sie.
Er schwieg, leckte über ihren Hals, seine Hände wanderten zu ihren Brüsten und ihr entfuhren wonnige Seufzer. Dann öffnete er den Reißverschluss ihrer Jacke, knöpfte ihre Hose auf und ließ seine Hand in ihren Schrit gleiten.
„Nicht hier, Berengar“, flüsterte sie. „Nicht so.“
Mit einem Ruck riß er ihr Jeans und Slip herunter, sie wollte sich aus der Umarmung lösen, doch er hielt sie mit eisernem Griff umschlossen, nestelte an seiner eigenen Hose und schon wenig später spürte sie, wie er sich daran machte, in sie einzudringen.
So hatte sie sich ihr erstes Mal nicht vorgestellt und ihre Gedanken überschlugen sich. Wenn sie jetzt entschieden Nein sagte oder sogar weglief, dann musste er ja denken, dass sie ihn nicht wollte. Er würde sie für eine prüde Ziege halten, wenn sie nicht mitmachte. Er war immerhin schon siebzehn, hatte erwachsene Bedürfnisse. Wenn sie die nicht befriedigen konnte, würde er sich eine andere suchen.
Es tat weh. Es fühlte sich falsch an, demütigend und schmutzig. Er keuchte zuerst leise, dann heftiger, aber da war nichts Liebevolles, nichts Leidenschaftliches, sie fühlte sich benutzt, wie ein heruntergeschlungener Imbiss gegen den schlimmsten Hunger.
Er wurde schnell fertig, schubbste sie rüde von sich, so dass sie vornüber fiel. Sie hörte noch wie er eilig seinen Reißverschluss zuzog und dann weglief. Als sie wieder auf den Beinen war und ihre Hose geschlossen hatte, war er bereits in der Dunkelheit verschwunden.

Sie zitterte am ganzen Körper, wollte schreien, heulen, um sich schlagen, konnte aber nur dastehen und vor sich hin starren.

Zwei Gestalten kamen auf sie zu. Eine davon beschleunigte den Schritt, dann begannen beide zu laufen. Sie wollte fliehen, aber sie konnte nicht. Was auch immer sie mit ihr vorhatten, es würde passieren. Sie erkannte Yannic zuerst. Er schlug ihr mit der flachen Hand auf die Schulter und bellte: „Ausweiskontrolle!“
Hinter ihm trat der zweite Polizist in Erscheinung: Berengar!
Wie ferngesteuert zog sie ihren Ausweis aus dem Umschlag.
„Hey, wir müssen doch erst würfeln.“, protestierte Yannic.
„Ach ja.“, erwiderte sie, nahm den Würfel, den sie wie alle anderen bei sich trug und würfelte auf der Tischtennisplatte. Der Würfel zeigte vier Augen. Gar nicht mal schlecht.
Yannic hielt dagegen. Fünf Augen. Sie zeigte Yannic ihren Ausweis und vermied es, Berengar anzusehen. Berengar warf einen Blick auf das Papier und pfiff leise durch die Zähne: „Harry Lime.“, sagte er „Spiel vorbei.“
„Ja.“, erwiderte sie stoisch. „Spiel vorbei.“
„Ist alles okay mit dir?“ fragte Berengar besorgt und sie wagte einen Blick. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Berengar eine Latzhose trug.

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Brutales Spiel
Darf ich fragen was es mit der Latzhose auf sich. Ich bin da etwas unbeholfen.

Ich hatte ja Selbiges in echt. Nur halt eine betrunkene junge Frau in der Badewanne. Und ich hätte beim Würfeln nur eine zwei bringen müssen dann wäre gar nix passiert. Und dann habe ich nur eine eins gebracht.

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Berengar kann es wegen der Latzhose nicht gewesen sein. Der Vergewaltiger zog nur eben schnell seinen Jeansschlitz zu. Sie hat einen Unbekannten mit ihrem Schwarm verwechselt.
Das Spiel War an sich nicht brutal. Wer die Rolle des Polizisten hat, darf nur den Ausweis kontrollieren, wenn er den Spieler abgeschlagen und danach beim Würfeln besiegt hat.
Noch weitere Fragen?

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Nee keine weiteren Fragen. Ich bin da etwas gehandicapt in solchen Fragen. Natürlich ist das Spiel brutal immerhin wurde ja eine Frau vergewaltigt oder nicht. Ich habe den Text jetzt noch einmal mit der gebührenden Aufmerksamkeit gelesen. Wie immer stolpere ich über ihre Sexualität in Texten. Dass die Frau da tatsächlich nicht unterscheiden kann zwischen einem Vergewaltiger und e ihrem Schwarm, obschon sie weder unter Einfluss von Drogen Alkohol oder ko tropfen stnd ist mir nicht so zugänglich. Ich hoffe sie können mir das nachsehen.

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Sicher kann ich Ihnen das nachsehen. Nur hat die Vergewaltigung nichts mit dem Spiel zu tun. Der Kinderspielplatz ist ja auch nicht brutal, nur weil dort die Vergewaltigung stattfindet. :-)

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Berengar ist ein schöner Name. Richard Löwenherz war mit Berengaria verheiratet, der "einzigen englischen Königin, die niemals einen Fuß auf ihr Land gesetzt hat". Aber sie scheint trotzdem ziemlich herumgekommen zu sein. Geheiratet haben die beiden ja auf Zypern. Aber ob sie viel voneinander gehabt haben? Zumindest hat sie sich nach seinem Tod eine ordentliche Witwenpension erstritten.
Frau Fabry, eine sehr gelungene Hommage zum 70er. Die Original-Zither kann man übrigens im Dritte-Mann-Museum besichtigen und ein Buch von Herrn Rebhandl für Hardcore-Fans erschien auch gerade.

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Danke ;-)

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