Freitag, 12. Oktober 2018
Mikrokosmos – Kurzkrimi in drei Teilen – 2. Teil
Pastorin Zettel verwies sie direkt an einen Herrn Horst Tümpelbauer, der habe die besten Kontakte zur Kulturgruppe und sei als amtierender Baukirchmeister sicher ein wichtiger Ansprechpartner für die Polizei. Er sei schon unterwegs, sie müssten ihn nicht zu Hause aufsuchen, das sei zu umständlich, da er in der Nachbargemeinde wohne.
„Ich wusste gar nicht, dass man sich die Gemeinde aussuchen kann, bei der man sich zum Presbyter wählen lässt.“, wunderte Keller sich.
„Man kann sich umpfarren lassen.“, erklärte Kerkenbrock. „Meistens machen das Leute, die wegziehen, weil sie vor Ort keine geeignete Wohnung oder keinen kostengünstigen Bauplatz finden, sich aber nach wie vor zu ihrer Heimatgemeinde zugehörig fühlen.“
„Ja, das klingt halbwegs plausibel.“
Tümpelbauer ließ nicht lange auf sich warten. Es handelte sich um einen hoch gewachsenen, älteren Herrn mit schlohweißem Haar und einem freundlich-debilen Lächeln. Über einem hochwertigen, karierten Hemd trug er einen dunkelgrünen Trachtenjanker. Seine Bewegungen wirkten eckig, die Brustwirbelsäule war leicht gekrümmt und es schien ihn anzustrengen, den Kopf aufrecht zu halten. Diese Haltung hatte Keller schon einmal bemerkt – bei einem Onkel, der seit einigen Jahren an Parkinson erkrankt war. Tümpelbauer reichte beiden die Hand und fragte, ob man nicht im Sitzungsraum weiter reden wolle.
Sie nahmen Platz in einem kleinen Raum, der trotz einer fast komplett verglasten Wand seltsam dunkel wirkte. Tümpelbauer setzte sich bewusst ins Gegenlicht, so dass es Schwierigkeiten bereitete, seine Mimik zu lesen.
Zunächst ging es um den baulichen Zustand der Kirche und des Gemeindehauses, aber hier bekamen die Beamten keine neuen oder erhellenden Informationen. Dann wechselte Kerkenbrock das Thema: „Herr Tümpelbauer, Frau Zettel hat uns erklärt, sie seien bestens im Bilde über die Kulturgruppe. Wie war Ihrer Einschätzung nach das Verhältnis zwischen den Angehörigen dieser Gruppe zu dem verstorbenen Küster?“
„Ausgezeichnet.“, erwiderte Tümpelbauer stoisch. „Das sind ja anständige Leute, keine Trinker, Randalierer oder Querulanten. Und der Herr Klaaßen war ebenfalls ein hochanständiger Mensch. Wenn es einen gab, der der Kulturgruppe besonders wohlgesonnen war, dann war es der Herr Klaaßen. Die Pfarrerin hatte schon eher Probleme mit diesen reizenden Senioren – und mit dem Herrn Klaaßen selbstverständlich auch.“
„Wie meinen Sie das?“, fragte Kerkenbrock interessiert.
„Ach, die Pfarrerin Zettel, die versucht immer, mit irrwitzigen Experimenten von ihrer Unzulänglichkeit abzulenken. Sie spricht dann immer von frischem Wind, der durch die Gemeinde wehen soll, sie holt Leute in die Kirche und ins Gemeindehaus, die hier gar nichts zu suchen haben und wenn so jemand wie der Herr Klaaßen dann nicht mitspielt, dann kann sie ziemlich giftig werden. Bei den Altgedienten kann sie mit ihren an den Haaren herbei gezogenen Predigten nicht landen und statt in sich zu gehen, nachzudenken, sich fortzubilden, sich weisen Rat von gestandenen Kollegen zu holen, dreht sie den Spieß um und unterstellt den verdienten Gemeindegliedern Unbeweglichkeit und Starrsinn. Aber das ist blanker Unsinn. Wir sind alle sehr für den Fortschritt, aber mit Vernunft.“
„Und welchen Konflikt hatte die Frau Zettel mit dem Herrn Klaaßen?“
„Ach, es ging vor allem um den Nachwuchs der Zugereisten in unserem Stadtteil. Sie wissen schon, diese Jungs, die nicht richtig deutsch sprechen, denen der Hosenboden in den Kniekehlen baumelt, die trinken und andere Drogen nehmen und sich überall aufführen, als würde ihnen die Welt gehören. Denen muss doch einmal jemand Bescheid stoßen, wenn es schon weder ihre Eltern noch ihre Lehrer tun. Und das hat der Klaaßen regelmäßig getan. Aber dafür wurde er von der Pfarrerin mehrfach gerügt, abgemahnt und schließlich strafversetzt. Dazu ist es ja nun nicht mehr gekommen, jetzt ist sie ihn ja anderweitig los geworden. Sie wollte da stehen als die Mutter der Gemeinde, die sich der Armen und Entrechteten annimmt und dabei war Herr Klaaßen ihr im Weg. Und jetzt haben ihre Armen und Entrechteten das Recht in die Hand genommen und zu Unrecht gemacht und den Herrn Klaaßen grausam ermordet. Sprechen Sie einmal mit dem zweiten Vorsitzenden des Presbyteriums, dem Herrn Laugrand, Wotan Laugrand, der ist auch Mitglied des Bauausschusses.“
„Wissen Sie was?“, antwortete Keller. „Genau das werden wir tun. Wir werden mit jedem einzelnen Mitglied Ihres Presbyteriums sprechen. Aber eine Frage haben wir noch an Sie. Warum sind Sie Kirchmeister in einer Gemeinde, in der Sie gar nicht wohnen?“
„Was tut das zur Sache?“
„Beantworten Sie einfach meine Frage.“
„Ich habe mich umpfarren lassen.“
„Und warum?“
„Hier gefällt es mir besser. Den Menschen an meinem Wohnort fühle ich mich weniger verbunden.“
Keller gab sich mit dieser Antwort zunächst zufrieden. Er bat die Pfarrerin, alle Mitglieder des Presbyteriums einzubestellen und ihnen unmissverständlich mitzuteilen, dass sie anderenfalls eine Vorladung ins Polizeipräsidium erwarte. Schon eine Viertelstunde später konnten sie mit der Befragung beginnen.

Ihre erste Gesprächspartnerin war die Jugendpresbyterin Alena Dichter. Schulterlanges, braunes Haar umrahmte ein hübsches Gesicht mit einem sinnlichen Mund und verschmitzten, dunklen Augen. Obwohl sie locker 80 bis 90 Kilo auf die Waage brachte, wirkte sie hellwach und dynamisch. Stressfresserin - dachte Kerkenbrock - schade um die tolle Ausstrahlung.
Frau Dichter kämpfte schon seit Jahren für einen Personalwechsel im Küsteramt, aber gegen die schützenden Hände von Pfarrerin Zettel und Kirchmeister Tümpelbauer war sie lange Zeit machtlos gewesen.
„Wäre Herr Klaaßen so mit der Kulturgruppe umgegangen, wie er die Jugendlichen behandelt hat, hätte das sofort einen Rieseneklat heraufbeschworen und er hätte schneller im Job-Center gesessen als die Ten Singer Highway To Hell spielen können.“
Trotzdem schloss sie die Jugendlichen als Täter aus. „Ich kenne die Kids, soviel kriminelle Energie hat keiner von denen. Allerdings habe ich auch keine Phantasie, wer tatsächlich so brutal ist.“
„Aber könnte es sich nicht auch um einen aus dem Ruder gelaufenen Streich handeln?“, fragte Kerkenbrock.
„Das liegt erst einmal nahe.“, gab Alena Dichter ihr Recht. „So Firlefanz mit Feuerwerkskörpern, das klingt nach jugendlichem Schabernack. Aber wenn die Jungs noch Silvesterraketen übrig gehabt hätten, dann hätten sie die bis Ende Januar längst verballert und wie sollten sie sonst da herankommen, die sind ja nicht ganzjährig frei verkäuflich. Außerdem hätten sie den Küster bestimmt nicht auf dem Klo eingesperrt. Und sie hätten auch nicht solche Massen an Material eingesetzt. Ein paar Chinakracher hätten doch zum Erschrecken schon gereicht.“

Maik Mohn betrat den Befragungsraum, ein echtes Sahneschnittchen, wie Kerkenbrock amüsiert feststellte. Definierte Muskeln unter gepflegter Kleidung, modischer Kurzhaarschnitt und ein gut geschnittenes, intelligentes Gesicht. Als Mitglied des Bauausschusses hatte er sich mehrfach mit den Beschwerden über den Küster befasst, verlor aber weder über Tümpelbauer noch über Laugrand freundliche Worte. Er ließ sich außerdem über den chronisch abwesenden Oliver Birkner aus: „Ich frage mich, ob er nur ins Presbyterium gegangen ist, um seine Karrierechancen in der Verwaltung des LKA zu erhöhen.“
„Er ist beim LKA?“, fragte Keller verdutzt? „Aber was sollte ihm da die Mitgliedschaft in einem kirchlichen Gremium nützen?“
Mohn begann zu kichern. „Ich rede nicht vom Landeskriminalamt sondern vom Landeskirchenamt. Er ist dort mit Bauangelegenheiten befasst und hier auch im Bauausschuss aktiv. Natürlich schielt er auch auf den Posten des Baukirchmeisters, aber erstens ist er dafür viel zu faul – er fährt lieber seinen schnittigen Sportwagen spazieren – und zweitens sitzt Tümpelbauer nach wie vor viel zu fest im Sattel. Wir sind uns zwar alle einig, dass er der Entwicklung der Gemeinde mehr im Wege steht, als ihr zu nützen, aber unsere Vorsitzende, die Pfarrerin Zettel, befürchtet, dass großes Chaos über uns hereinbricht, wenn wir auf Tümpelbauers vermeintliche Kompetenz verzichten. Ich sitze ja selbst im Bauausschuss und ich bin da vollkommen anderer Meinung.“
„Wären Sie der kompetentere Vorsitzende?“, fragte Kerkenbrock mit gespielter Unschuld.
„Das glaube ich nicht.“, antwortete Mohn. „Ich bin nur in diesem Ausschuss, um den erzkonservativen Granaten auf die Finger zu gucken. Wir bräuchten ganz neue, frische Gesichter im Presbyterium. Aber die Gemeinde ist träge. Niemand will einen altgedienten Presbyter aus dem Amt drängen und so gibt es kaum neue Kandidaten und wer sich aufstellen lässt, wird dankbar gewählt, insbesondere, wenn er es nicht zum ersten Mal tut.“
„Wissen Sie, was mich an Herrn Mohns Aussage irritiert?“, fragte Keller seine Kollegin, als sie für ein paar Minuten allein waren.
„Nein, keine Ahnung. Ich fand ihn äußerst vertrauenswürdig.“
„Ja, nicht wahr“, meinte Keller, „so eloquent und so gut gebaut.“
„Haben Sie Probleme mit attraktiven Männern? Sehen Sie sich da in Konkurrenz?“
„Ach Unsinn!“, schnaubte Keller verärgert. „Ich bin nur immun gegen die sexuellen Reize meiner eigenen Geschlechtsgenossen. Dadurch ist mein Blick weniger verstellt. Er hat kaum etwas über das Opfer gesagt, statt dessen sofort den Verdacht auf seine Gegner gelenkt, ohne auch nur einen einzigen verwertbaren Anhaltspunkt zu liefern. Vielleicht weiß er mehr, als er zugibt und versucht, jemanden zu schützen. Lassen Sie uns die Befragung fortsetzen, vielleicht ergibt sich noch etwas.“
Fortsetzung folgt am nächsten Freitag.

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Freitag, 5. Oktober 2018
Mikrokosmos – Kurzkrimi in drei Teilen - 1. Teil
Es war tatsächlich kein schöner Anblick. Die Hitze hatte zu extremen Muskelkontraktionen geführt und er sah aus, wie ein überdimensioniertes Brathähnchen. Keller schämte sich für den Vergleich. Der, dessen sterbliche Überreste hier in der ausgebrannten Toilette lagen, war einmal ein Mensch gewesen, der Küster dieses beeindruckenden Meisterwerkes moderner Architektur. Was für ein Glück, dass die Flammen nicht auf den Innenraum der Kirche übergegriffen hatten. Der Tathergang war ziemlich offensichtlich: Jemand hatte den Sanitärraum unauffällig mit reichlich Feuerwerkskörpern gespickt und durch die Lüftung eine Lunte nach draußen gelegt. Sobald der Küster Johann Georg Klaaßen die Toilette aufgesucht hatte, war die Tür mit einem Besen verbarrikadiert und die Lunte gezündet worden. Vermutlich hatte Klaaßen noch verzweifelt versucht, sich aus der Hölle von Lärm, Rauch und Feuer zu befreien, konnte aber nicht entkommen, war erstickt und schließlich verkohlt. Wer kam auf die Idee, so grausam zu töten? Oder steckte am Ende gar keine Tötungsabsicht dahinter?
Kriminalhauptkommissar Stefan Keller wandte sich an seine junge Kollegin Sabine Kerkenbrock: „Finden Sie nicht auch, dass das etwas von Hooligan-Methoden hat oder von denen aus der autonomen Szene?“
„Na, das bedeutet ja nun alles und nichts.“, erwiderte Kerkenbrock. „Da ist ja alles drin von wütenden Fans bis hin zu politischen Extremisten, egal ob links oder rechts. Sieht halt nach extremer Gewalt aus. Meinetwegen auch nach junger, extremer Gewalt. Vielleicht hatte er als Küster Stress mit den Jugendlichen.“
„Gibt es denn hier überhaupt Jugendarbeit?“
„Gibt immer welche - und wenn es nur ein paar Nerds sind, die nicht wissen, wo sie sonst hingehen sollen.“

Bernd Hucke von der Kulturgruppe hatte den Toten gefunden. Nun pirschte er sich an die sich beratenden Beamten heran und erklärte: „Den Rabauken, die hier zum sogenannten offenen Treff kommen, sollten Sie mal auf den Zahn fühlen. Jeden Freitag machen die hier Randale, und am Samstag Morgen musste der Herr Klaaßen immer die Bierflaschen und die Zigarettenkippen einsammeln. Der hat denen so oft die Leviten gelesen und es hat nichts genützt. Noch letzte Woche hat er ihnen erklärt, wenn er noch einmal samstags so eine Schweinerei hier vorfindet, sorgt er persönlich dafür, dass der offene Treff dicht gemacht wird.“
Sabine Kerkenbrock bekam nur die Hälfte von dem mit, was der aufgebrachte Rentner von sich gab. Sie starrte angeekelt auf den Faden aus Speichel, Schleim und Zahnbelag, der sich wie Spinnensekret zwischen Ober- und Unterlippe in die Länge zog.

Auf dem Fahrrad kam ein tätowiertes Wesen mit grünen Haaren und viel Metall im Gesicht auf den Parkplatz gefahren. Es handelte sich bei näherer Betrachtung um ein männliches Exemplar der Gattung Homo Sapiens, das definitiv weniger als zwanzig Jahre alt war.
„Kehrt da wohl der Täter zum Tatort zurück?“, wisperte Keller mit einem ironischen Grinsen, denn der Jugendliche bediente alle Klischees des gewaltbereiten Exremisten. Pfarrerin Angelika Zettel, die mittlerweile ebenfalls eingetrudelt war, eilte dem Jugendlichen entgegen. „Oh Julian, ich glaube Ihr könnt Euch heute nicht treffen, hier ist etwas ganz furchtbares passiert und das Gemeindehaus wird wohl bis auf Weiteres geschlossen.“
Kerkenbrock war der Pfarrerin hinterher geeilt und erklärte: „Bitte schicken Sie niemanden weg. Das Gemeindehaus müssen Sie nicht schließen, ganz im Gegenteil, es wird unsere zentrale Befragungsstelle, sobald wir hier mit der Spurensicherung fertig sind. - Und wer sind Sie?“, wandte sie sich höflich an den Jugendlichen.
„Julian Schlüter. Ich leite die Band von TEN SING.“
„Und ihr seid hier Freitags immer im offenen Treff?“
„Nee, höchstens ab und zu und eher so einzeln. Also ich hab' keinen großen Bock auf die Leute, sind ziemliche Flachnasen. Wir treffen uns hier mehrmals die Woche und heute planen wir eigentlich einen langen Probetag.“
„Das wäre aber mehr als pietätlos.“, funkte Pfarrerin Zettel dazwischen
„Wieso, was ist denn passiert?“, fragte Julian noch immer ahnungslos.
„Der Küster ist in der Kirche verbrannt.“, erklärte Kerkenbrock. „Sie waren nicht zufällig gestern Abend hier in der Nähe?“
„Was? Nein, wieso? Denken Sie etwa, ich hätte Feuer gelegt? Ich meine, Grund genug, hätten wir vielleicht gehabt, aber so was macht doch keiner. Das war bestimmt ein Unglücksfall.“
„Nein, es war Mord.“, erklärte Keller, der in der Zwischenzeit dazu gekommen war. „Warum hätten Sie einen Grund gehabt?“
Julian musste schlucken. „So meinte ich das nicht.“, erwiderte er. „Wie gesagt, keiner von uns würde jemanden umbringen, nicht einmal den Küster, aber Klaaßen hat schon immer reichlich rumgestresst. Am meisten ist er auf die Leute vom offenen Treff los gegangen, die sind zwar nicht die Schlausten und müllen hier oft alles zu, aber sie hätten den mal reden hören sollen, wie der sie beschimpft hat. Da kamen so Sprüche wie „asoziale Brut vom arbeitsscheuen Gesindel“ oder „schwarzgesichtige Muselmänner, die sich in unseren christlichen Räumen breit machen“, da kam uns echt oft genug die Galle hoch. Und der hat dafür nie Lack gekriegt. Die Eltern von den OT-Leuten, die kümmern sich halt nicht so viel, denen ist das egal und wenn wir mal unsere Jugendpresbyterin oder die Pfarrer drauf angesprochen haben, hieß es immer, wir kümmern uns darum und dann ist nie was passiert.“
„Da ist schon etwas passiert.“, widersprach die Pfarrerin. „Wir haben das nur nicht an die große Glocke gehängt. Da haben mehrfach Gespräche mit Herrn Klaaßen stattgefunden. Und kürzlich gab es dann ja auch weitreichende Konsequenzen.“
„Ja, aber nur weil unsere Eltern Sturm gelaufen sind, nachdem er ständig unsere Proben gestört hat und immer meinte wir wären zu laut oder wir würden beim Tische Rücken den Boden vermackeln und lauter so ein Zeug. Ständig hat er in unserem Materialraum rumgepfuscht und behauptet, er hätte aufgeräumt, hat dauernd Sachen weggeschmissen, die wir noch brauchten. Nie durfte irgend etwas von uns mal für zwei Tage stehen bleiben, aber wenn die Kulturgruppe hier ihr Programm gemacht hat, dann hatten die ihr Zeug überall rumstehen, aber das sind ja auch rechtschaffene Rentner und keine dreckigen Jugendlichen.“
„Kommen gleich noch mehr von Euch?“, fragte Keller.
Julian nickte mit dem Kopf.
Nach der eingehenden Befragung der überwiegend behütet aufgewachsenen Tensinger, nahm Kerkenbrock ihren älteren Kollegen vertraulich beiseite: „Ich weiß ja nicht, aber nach allem, was die Teenager über diese Rentnergang erzählt haben, sollten wir uns die vielleicht einmal genauer vorknöpfen.“
„Welche Rentnergang?“
„Na, die Kulturgruppe. Die scheinen ja jeden, der ihnen auch nur im Ansatz in die Quere kommt, direkt fertigzumachen.“

Fortsetzung folgt nächsten Freitag

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Freitag, 28. September 2018
Zwergenaufstand – ein krimifantastischer Vierteiler – Teil 4
Der erste, den er auswählte, war der braune Bodo. Sie nannten ihn so, weil er hellbraune Kleidung bevorzugte. Der braune Bodo plapperte nur nach, was sein Anführer ihm vorsagte und blickte stumpfer drein als seine Axt, die von unzähligen Fehlschlägen ganz schartig geworden war. Rolo beobachtete ihn. Bodo aß gern gut abgehangenes Fleisch und trank noch lieber krügeweise Met. Alles andere war ihm eigentlich egal. Nur, wenn ihm jemand Angst machte, das Fleisch könne knapp werden und der Met-Strom könne versiegen, empfand sein Saurierhirn das als lebensbedrohlich und er wurde zum Tier. Sobald sein Anführer ihm mitteilte, wer der Grund für die Bedrohung sei, drosch er so lange mit seiner Axt auf ihn ein, bis er traf oder es seinem Opfer gelungen war, zu fliehen. Rolo sprach ihn an: „Gehen wir ein Met trinken?“
„Wieso wir?“, fragte Bodo erstaunt.
„Wieso nicht?“
„Wenn du mittrinkst, bleibt nicht so viel für mich.“
„Wenn du nicht mit mir kommst, kriegst du gar nichts von meinem Met.“
„Wieso dein Met?“
„Ich hab' ein Fässchen.“
„Wieso willst du mir was abgeben?“
„Allein saufen macht keinen Spaß.“
„Hast du keine Freunde?“
„Nein.“
„Dann bin ich jetzt dein Freund.“

Sie begannen zu trinken. Nach dem ersten Becher sagte Bodo: „Mein Anführer lädt mich immer nur auf einen Becher ein. Nie auf ein halbes Fass.“
„Dein Anführer ist ja auch ein Parasit.“, erwiderte Rolo.
„Wieso?“
„Er füttert dich an, damit du ihm vertraust und dann saugt er dich leer.“
„Ist er eine Mücke oder was?“
„Nein. Eine Mücke zapft dich nur an. Er saugt dich leer. Du sollst dich prügeln und er lässt sich dafür feiern.“
„Hm. Aber er ist mein Anführer.“
„Warum?“
„Weil er schlauer ist als ich.“
„Gibt auch andere, die schlauer sind als du.“
„Hey, werd' nicht frech!“
„Gibt auch viele, die schlauer sind als ich.“
„Ja, kann sein. Zapf mal nach.“

Und so tranken und redeten sie drei Nächte und drei Fässer lang. Bodo erzählte seine traurige Geschichte und Rolo erzählte auch eine traurige Geschichte, die viel Ähnlichkeit mit seinem wirklichen Leben hatte. Sie wurden so etwas wie Freunde, und auch wenn Bodo noch immer ein weißer Zwerg war, so hatte Rolos Met eine Menge Gift aus seinem Körper gespült und als der Rausch verflogen war, kam da so etwas wie Erkenntnis in des braunen Bodos Kopf und auch ein Funken Verstand. Er zog in eine andere Gegend, verriet seinem Anführer nicht, wohin, konzentrierte sich auf Fleisch und Met und ließ sich von niemandem mehr einreden, es könne knapp werden.

Und Rolo der Dottergelbe zog weiter, um den nächsten zu entgiften. Und er schrieb an seine Vetter und Gefährten, dass sie es ihm gleich täten. Und dann lernte er Rowina kennen eine rot-orange Schönheit, die wich nicht mehr von seiner Seite und er nicht mehr von der ihren. Doch Rowina hatte ein Geheimnis, das sie nicht einmal Rolo offenbarte, denn sie war ausgezogen, die Männer zu entgiften, aber das ist eine andere Geschichte.

Ende

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Freitag, 21. September 2018
Zwergenaufstand – ein krimifantastischer Vierteiler – Teil 3
Überall standen Fläschchen und andere Glaskörper herum, aufwändige Konstruktionen von Kolben und Röhrchen mit großen blauen Flammen darunter und überall zischte und brodelte es. Zwei Riesen in weißen Kitteln waren emsig damit beschäftigt, Pülverchen zusammenzurühren, Flüssigkeiten einzufüllen und abzuzapfen, Fläschchen zu etikettieren und Dinge in Bücher zu schreiben. Rolo versteckte sich in einer dunklen Ecke und wartete bis zum Abend, als die Riesen das Labor schließlich verließen. Er nutzte die gesamte Nacht, um alles genauestens in Augenschein zu nehmen. Am Ende war ihm klar, was hier gebraut wurde: Es waren Gifte, die die Riesen den Zwergen in die Fertignahrung mischten, davon veränderten sich ihre Gehirne. Sie wurden gleichzeitig gierig und ängstlich. Sie bekamen schreckliche Angst vor allem Unbekannten und noch größere Angst, im Leben zu kurz zu kommen, nicht genug abzubekommen, sie wurden nicht mehr satt und zufrieden – und sie verloren ihre Farbe. Die weißen Zwerge waren total vollgepumpt mit den Giften. Im Zwuselland aß man noch meistenteils das eigene Gemüse und Fleisch von selbst gezüchteten Tieren. Nur wenige liebten die Industrienahrung aus Zworderos.
Aber unter den zugereisten, bunten Zwergen schien es auch Vergiftungserscheinungen zu geben, denn sie konnten sich ja nicht selbst versorgen und mussten das Gift der Riesen genauso essen. Aber sie wurden nicht weiß wie die Giftzwerge aus Zworderos. Statt der Farbe verloren sie ihre Form. Alles Weiche und Runde an ihnen wurde hart und kantig, spitz und scharf. Sie wollten nur noch töten und verletzen, das Denken und Einfühlen hatten sie auch abgestellt. Sie waren die schärfsten Feinde der weißen Zwerge. Nun konnte man meinen, man müsse nur abwarten, dass sie sich gegenseitig auslöschten, aber das funktionierte nicht, denn die farbigen Giftzwerge hatten schadhafte Augen und verwechselten helle Regenbogenzwerge mit weißen Zwergen.
Nun musste Rolo nur noch herausbekommen, warum die Riesen die Zwerge vergifteten. Was hatten sie davon?

Als am Morgen die Weißkittel zurückkehrten, schlich Rolo sich durch die Tür in die höheren Etagen des Gebäudes. In einem großen Saal gingen Riesen ein und aus, stopften sich mit Essen voll, führten Gespräche und taten was auch immer. Sie aßen so gierig, dass immer etwas herunter fiel, für Rolo waren das immer noch große Brocken und er konnte sich eine Weile hier einquartieren, um herauszufinden, was sie trieben und am Ende zu verstehen, warum sie so handelten, wie sie es taten.
Er blieb einen ganzen Monat dort. Essen und Trinken gab es reichlich, versteckte Winkel, in denen er sich verborgen halten konnte, waren ebenfalls vorhanden. Nachts schlief er auf den weichen Polstern und sein Geschäft verrichtete er in den Futternäpfen, die die Riesen überall für ihre Hunde aufgestellt hatten. Als der Mond sich einmal gefüllt und wieder geleert hatte, besaß er genug Informationen.
Die Riesen hier waren nicht etwa diejenigen, die die Geschicke des Landes führten. Von denen tauchten nur vereinzelt welche auf und sie wurden nur geduldet, gehörten nicht wirklich dazu und wenn sich einer zu viel heraus nahm, warfen die Hiesigen ihn achtkantig heraus. Diese Riesen interessierten sich eigentlich gar nicht für die Zwerge, weder für die bunten noch für die weißen und auch das Leid, das sie mit ihrer Giftattacke verbreiteten, war ihnen vollkommen egal. Sie hatten nur zwei wesentliche Ziele, die sie unbeirrt verfolgten:
Die Sicherung ihres persönlichen Komforts und die Befriedigung ihres Spieltriebs. Für sie war die Welt ein Fantasy-Brettspiel und die Zwerge waren ihre Spielfiguren. Sie waren große Kinder, diese Riesen, die sich standhaft weigerten, erwachsen zu werden. Man musste die Monster aufhalten.
Aber Rolo konnte sie nicht besiegen, jedenfalls nicht allein, auch nicht allein mit den Regenbogenzwergen, die noch übrig waren. Sie waren zu wenige, sie brauchten Verstärkung. Man musste die weißen Giftzwerge entgiften, dass sie wieder Farbe bekamen. Man musste ihre Angst besiegen, ihre erkalteten Herzen erwärmen und – das war das allerschwerste – man musste sie lieben, die Giftzwerge, um ihre Gier zu vertreiben. Das war unmöglich, aber er musste das Unmögliche schaffen.
Wie hatte es der alte Ohm formuliert? „Schleiche dich an Einzelne heran, immer schön einer nach dem anderen, still und leise.“

Fortsetzung folgt am kommenden Freitag

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