Freitag, 10. März 2023
Häcksel
Es war ein Bild wie gemalt von Pieter Bruegel, sie lagen da wie die Vollgefressenen im Schlaraffenland, auf den Acker drapiert, jedoch durchsiebt von Schrotkugeln, teils in der Brust, teils im Gesicht, kein schöner Anblick. Alle waren bedeckt mit einer feinen Schicht Spreu, als hätte man sie mit gehackten Pistazienkernen verziert.

Mark, Fiete, Lars, Kai-Uwe und Dirk. Selbst wer sie nicht kannte, konnte sie beim Namen nennen. Sie trugen T-Shirts mit anlassbezogenem Logo und eigenem Namenszug. "Gibt‘s auch Hefe-Weizen?", fragte Lars.
"Klar.", erwiderte Mark. "Ich habe auch an die Diven gedacht. Allerdings heute ohne Bananensaft. Dafür gibt es den grünen Schnaps."
"Der ballert auch besser.", sagte Fiete grinsend.
"Ich guck nochmal nach dem Hänger.", meinte Kai-Uwe. "Nicht dass der ganze Driss runtermeiert bevor wir bei Claudia angekommen sind."
"Wer fährt eigentlich?", erkundigte sich Dirk.
"Immer der, der fragt.", lautete Marks Antwort.

"Sieht aus wie erweiterter Suizid.", bemerkte Hauptkommissar Keller.
"Eigenartigerweise gibt es aber keinerlei Hinweise, dass irgendjemand versucht hat zu fliehen.", gab Tanja Baumgart von der Spurensicherung zu bedenken. "Wenn das erste Opfer erschossen wurde, hätten die anderen doch in Panik geraten müssen und versucht, sich aus dem Staub zu machen oder dem Täter das Gewehr zu entwinden. Die liegen hier, als wären sie alle freiwillig aus dem Leben geschieden. So etwas soll es ja geben, aber bei den T-Shirts, die die tragen, sieht mir das verteufelt nach einem missglückten Junggesellen-Abschied aus."

"Sachte, sachte.", mahnte Dirk. "Nicht so viel auf einmal, muss ja für vier Frauen reichen und die Strecken dazwischen."
"Das reicht schon noch.", meinte Lars. "Wer ist eigentlich die Erste?"
"Sonja Fuhrmann.", erklärte Mark.
"Echt?", fragte Kai-Uwe. "Wann war das denn?
„Vor hundert Jahren."
Sonja öffnete bereitwillig die Tür: "Mensch Jungs, wie seht ihr denn aus? Feiert ihr Schulabschluss oder was?"
"Nee, Häckselstreuen.", erklärte Lars.
"Eeeeeecht?" Sonja riss die Augen mit gespieltem Erstaunen auf. Sie wusste genau, warum die Männer sie besuchen kamen.
"Kommt rein, ich habe sanften Engel angerührt, im Gedenken an die alten Zeiten."
"Scheiße.", meinte Kai-Uwe. "Davon habe ich drei Mal gekotzt."
Sie reichte den Männern die Mischung aus Wodka, Orangensaft, Sekt und Vanilleeis.
"Bin ich eigentlich die erste?", fragte die Gastgeberin.
"Jau.", erwiderte Mark. "Die Bitches aus der Grundschule und von der Konfi-Fahrt zählen nicht. Da ist ja nichts gelaufen. Und die One-Night-Stands auch nicht. Das waren ja keine Freundinnen."
"Wie viele waren das denn?"
"Weiß ich nicht mehr."
"Angeber."
"Nee, der hat Hochzeitsdemenz.", meinte Dirk.

"Ich glaube, die Opfer wurden betäubt.", erklärte die Gerichtsmedizinerin. "so, wie die hier liegen, legt sich kaum jemand freiwillig hin und so fällt man auch nicht, wenn man erschossen wird. Vielleicht haben sie sich auch selbst vergiftet bis auf den Täter oder sie haben irgendwelche Drogen eingeworfen, die sie außer Gefecht gesetzt haben, während der Täter möglicherweise im Rausch einen schweren Realitätsverlust erlitten hat. Vielleicht hat er im Wahn alle niedergeballert, weil er sie für Monster hielt."
"Das sind doch alles nur wilde Spekulationen.", beklagte sich Keller. "Wir brauchen mehr Fakten."

"Mit Sandra, das ist doch auch schon sechs Jahre her oder?"
"Sieben. Und gedauert hat es sechs Monate."
"Und das gilt?"
"Klar. Am Anfang waren wir total verknallt. Haben jeden Tag zusammen abgehangen."
Sandra begrüßte die Truppe mit fröhlichem Gelächter, aber es wirkte aufgesetzt, gespielt, maskenhaft.
"Ihr seid zwar Männer, aber ich stoße mit Euch mit Sekt an. Schließlich will ich auch meinen Spaß haben."
"Kein Problem.", meinte Kai-Uwe. "Wir haben ja unser Bier dabei."
"Nee, nee, Ihr müsst schon auch Sekt trinken.", kreischte Sandra und kicherte hysterisch. Mark wollte so schnell wie möglich weiter. Er wusste direkt wieder, warum er es damals beendet hatte.
"Wenn du uns einen Schwank aus deiner Jugend erzählst.", scherzte Dirk, "trink ich meinen direkt auf Ex."
Sandra errötete, dann begann sie aufgeregt zu lachen und erklärte schließlich von Lachsalven unterbrochen: "Als Mark und ich zusammengekommen sind, war Lisa auch scharf auf ihn und hat ihn immer angetanzt und da hat er irgendwann gemeint, dass der Autoscooter auf der anderen Seite der Wiese ist und dass er lieber Tandem fährt und dann hat er mich geschnappt."
"Na dann Prost.", rief Dirk, stürzte den süßlichen Schaumwein tapfer hinunter und rülpste vernehmlich. Als die Truppe weiterzog blickte Sandra ihnen traurig nach.

"Die Befragungen im Dorf haben ergeben, dass die jungen Männer zu einer besonderen Art des Junggesellenabschiedes unterwegs waren.", erklärte Kommissarin Kerkenbrock. "Der mutmaßliche Täter war der Bräutigam."
"Besondere Art?", fragte Keller. "Ackerfurchen vollkotzen, statt Scheine in Höschen schieben?"
"Nein. Die Männer waren unterwegs zum Häcksel Streuen. Das ist eine Tradition in dieser Gegend. Ein Hänger wird mit Spreu und zerkleinertem Stroh – das heißt hier Häcksel – beladen und dann werden die ehemaligen Geliebten eines Bräutigams abgeklappert. Mit dem Häcksel wird eine Spur gestreut wie bei Hänsel und Gretel und an den Häusern der betreffenden Ex-Freundinnen lässt man einen größeren Haufen Streu zurück. Die Ex bietet dem Bräutigam und seinen Freunden ein alkoholisches Getränk an, man plaudert kurz und dann geht es weiter zur nächsten."
"Aber wer hat in so einem Fall ein Motiv?", fragte Keller.
"Wenn es kein Unfall war, würde ich zuerst die verlassenen oder verlassenden Frauen unter die Lupe nehmen. Wer weiß, wie der Bräutigam mit ihnen umgegangen ist."

"Bei Silke ist ja alles dunkel.", stellte Lars enttäuscht fest.
"Die hat bestimmt keinen Bock.", meinte Fiete. „Die geizige Ziege. Hattest du überhaupt irgendwann mal Spaß mit der, Mark?"
"Kann mich nicht erinnern."
"Kein Problem.“sagte Kai-Uwe. "Dann können wir endlich mal ein anständiges Pils trinken und für Lars, unsere Diva gibt es sogar ein Hefe."
"Auf Silke!", stieß Lars hervor.

"Das Jagdgewehr ist registriert auf einen gewissen Heinrich Bohnenkamp.", erklärte Keller. "Die Anschrift ist nicht weit vom Fundort der Leichen entfernt. Ich schicke da gleich mal einen Trupp hin, der überprüft, wie es in seinem Waffenschrank aussieht, ob er zu Hause ist, Schmauchspuren und so weiter. Vielleicht ein zorniger Vater."

Claudia öffnete bereitwillig die Tür. "Schwatten?", fragte sie einsilbig. „Jau.“, erwiderte Fiete. "Das bringt uns wieder auf die Reihe. Aber mit doppelt Korn, sonst nützt das nix."
Die Männer versammelten sich um den Küchentisch und Ines stellte jedem eine Tasse dampfenden starken Kaffees hin – mit viel Koffein und viel Schnaps, so wie sie es gern hatten. Sie selbst trank den Kaffee ohne Alkohol. Von dieser Mischung hätte sie Herzrasen bekommen.

Heinrich Bohnenkamp war nicht zu Hause. Er war zur Kur auf Langeoog, gab seine Frau bereitwillig Auskunft. Tatsächlich fehlte sein Jagdgewehr. Den Schmauchtest bei sämtlichen im Haushalt befindlichen Personen konnten sie sich sparen. Die Älteste Tochter trug noch eine Patrone in der Gesäßtasche. Wenig später saß Claudia Bohnenkamp im Vernehmungsraum und erzählte ihre Geschichte:
"Als Mark und ich vor drei Jahren zusammenkamen, war alles toll und aufregend. Aber schon bald wurde er seltsam. Er war herrschsüchtig, aufbrausend und ziemlich eifersüchtig. Es war kaum auszuhalten. Ich war aber so verliebt in ihn, dass ich das alles ertragen habe. Ich habe versucht, an unserer Beziehung zu arbeiten, versucht, ihn zu verstehen und alles zu tun, damit er keinen Grund hat, sich aufzuregen. Ich war liebevoll, geduldig und treu. Dann ist er, das war vor etwas mehr als einem Jahr, mit dem Schützenverein auf eine Wochenendesause in die Lüneburger Heide gefahren. Da hat er Saskia kennengelernt und mich direkt danach eiskalt abserviert. Saskia hat er überall mit hin geschleppt. Wenn ich meine Freunde getroffen habe, waren die beiden auch immer da. Als wäre das nicht schon schlimm genug, haben seine besten Kumpels, also Fiete, Dirk, Lars und Kai-Uwe mich ständig aufgezogen und blöde Bemerkungen gemacht. Und die Krönung der Hölle war der Besuch zum Häcksel Streuen, weil Mark und Saskia nächste Woche heiraten wollten. Ich wollte dass sie genauso ausgeknockt sind, wie ich es war. Ich habe ihnen KO-Tropfen in den Kaffee getan. Und als sie dann so in der Küche rumlagen, fiel mir auf, dass ich das Mama irgendwie hätte erklären müssen. Da habe ich sie auf den Hänger geladen, mit dem Frontlader, war ne echte Asterei, die dicken Brummer vom Küchenstuhl bis zum Hauseingang zu zerren. Die Flinte habe ich mitgenommen, falls einer aufwacht und mir dumm kommt. Dann bin ich mit ihnen rausgefahren auf den Runkel-Acker, das fand ich passend. Da habe ich sie abgeladen und dann hatte ich auf einmal die Idee, dafür zu sorgen, dass sie mich nie wieder quälen können. Ich dachte, ich lasse es so aussehen, als hätte Mark alle abgeknallt und zum Schluss sich selbst. Darum habe ich ihm die Flinte in die Hand gedrückt. Und am Ende habe ich Häcksel gestreut. Ich ganz allein. Auf die fünf Arschkrampen, die für immer zu meiner Vergangenheit gehören, die keinen Platz mehr in meiner Zukunft haben. Aber ich hätte das besser planen müssen. Das sehe ich jetzt ein."

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